German Angst
Entführung dieser Frau machen«, sagte Tabor Süden. Er zog derart unerwartet seine Lederjacke aus und warf sie auf einen Stuhl, um sich die Ärmel seines weißen Hemdes hochzukrempeln, dass Ronfeld unwillkürlich den Kopf einzog.
»Der Spuk ist, Sie verstecken Ihre reaktionäre Gesinnung hinter juristischen Pseudofakten. Sie jagen ein Kind aus seiner Heimat, weil es angeblich keine Aufenthaltserlaubnis hat. Dieses Mädchen ist hier geboren, sie ist hier sozialisiert worden, von Deutschen, von uns, Herr Staatsanwalt, nicht von finsteren Ausländern. Wir sind für ihre Erziehung verantwortlich, niemand anders. Sie hat keine Verwandten in Nigeria, sie spricht nicht einmal Nigerianisch…«
»Sie hat Englisch in der Schule gelernt, Herr Süden.«
»Das hatte ich vergessen, ja, mit Pidginenglisch wird sie da unten schon durchkommen, ihr Vater stammt ja von dort. Der Mann war ein Kind, als er zu uns kam, er ist integriert, er lebt und arbeitet hier, er hat einen Betrieb aufgebaut, er ist ein Mitbürger wie jeder Deutsche…«
»Die deutsche Staatsbürgerschaft hat er nie angenommen.«
»Ich weiß, dass bei uns das Blutrecht zählt und nicht das Geburtsrecht, das weiß ich, Herr Ronfeld, das betont jeder rechte Brüllaffe bei jedem Auftritt, und es ist trotzdem ein Hohn. Ich werde mich gegen die Ausweisung dieses Mädchens wehren, auch als Polizist. Mich kriegen Sie nicht dazu, den Esel vor Ihrem faschistoiden Karren zu spielen.«
»Tabor…«, sagte Funkel.
»Was redest du denn?«, sagte Thon.
»Erstens, Herr Süden«, sagte der Staatsanwalt, »wenn Sie mit dieser Einstellung in diesen höchst komplexen Fall hineingehen, dann werde ich Kriminaloberrat Funkel bitten, Sie sofort davon abzuziehen. Zweitens: Fangen Sie bitte nicht an, wie einer dieser multikulti-vernebelten Intellektuellen zu reden!«
Er öffnete die Tür zum Vorzimmer. »Das kann ich nämlich nicht mehr hören. Es gibt einen schönen Satz des Schriftstellers Strauß, kennen Sie den? Er lautet:
›Intellektuelle sind freundlich zum Fremden, nicht um des Fremden willen, sondern weil sie grimmig sind gegen das Unsere und alles grüßen, was es zerstört.‹ Der Mann hat Recht, ein kluger Dichter. Also bleiben Sie auf dem Boden, predigen Sie nicht, sondern handeln Sie! Ich würde mich freuen, wenn wir heute Nachmittag ausführlich telefonieren könnten, Herr Funkel, vielleicht haben Sie bis dahin schon erste Ergebnisse.«
Vom Flur hörte man die aufgeregten Stimmen der Journalisten, als Ronfeld auf sie zuging. Dann gab es einen lauten Knall. Funkel und Thon zuckten zusammen. Sie hatten nicht bemerkt, dass Süden zur Tür gegangen war und sie mit voller Wucht zugeschlagen hatte. Jetzt lehnte er sich dagegen und pflügte den verrauchten Raum mit vernichtenden Blicken.
Zwei Minuten vergingen ohne ein Wort. Thon setzte sich an den Tisch vor dem Fenster, Funkel kratzte sich an der Oberkante seiner Augenklappe, sah das Licht an der Telefonanlage blinken, zögerte, sich an den Schreibtisch zu setzen, tat es dann doch und legte gedankenversunken die Hand auf den Hörer.
»Wir sitzen hier und tun nichts«, sagte er schließlich.
»Alle verfügbaren Kollegen sind im Einsatz«, sagte Thon. »Ich glaube nicht, dass es heute in der Stadt jemanden gibt, der nicht versucht, eine Spur zu Natalia Horn zu finden.«
»Es gibt eine Menge solcher Leute«, sagte Süden.
»Ich habe eine Bitte, Tabor«, sagte Thon, holte tief Luft und hielt sie ein paar Sekunden lang an. »Mach nicht wieder den Ritter, diesmal nicht! Bleib an deinem Fall, verfolg die Spur, die uns zu Katharina Wagner führt, das ist deine Aufgabe. Ich teile dir Florian Nolte zu, solange Sonja ausfällt, und ansonsten hältst du dich raus! Mit der Soko Natalia hast du nichts zu tun.«
»Spinnst du?«
»Bitte?«
»Spinnst du?«
»Ich möchte, dass wir wenigstens an einer Ecke unseres momentanen Wahnsinns hier bald wieder Ruhe haben. Knack diese Ilona Leblanc, sie weiß, wo ihre Freundin Katharina steckt. Krieg endlich raus, was da vorgefallen ist! Mir reicht, dass uns die Journalisten wegen Lucy Arano und Natalia Horn bombardieren, diese Angriffe genügen mir, sie verfolgen mich bis nach Hause, und das brauch ich nicht. Gib dir bitte Mühe.«
»Ich bin also nicht mit in der Soko«, sagte Süden zu Funkel.
»Es ist vielleicht besser so.«
»Es ist schlechter so«, sagte Süden.
»Keine Diskussion!«, sagte Thon.
»Ihr lasst euch abkanzeln und vorführen und den Einzigen, der den Mund aufmacht,
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