German Angst
sich hinknien, weil sie keine Kraft mehr hatte.
Josef Rossi war erst zwei Stunden später wieder aufgetaucht.
»Der Bulle hat mich wahnsinnig gereizt«, sagte er jetzt und schnäuzte sich, bohrte in der Nase und schnäuzte sich noch einmal. »Ich trau dem nicht, ich hab schon von ihm gehört, verstehst du, ich kann ihn nicht ausstehen. Und ich hab gedacht, wieso hast du dem nicht die Wahrheit gesagt, so was ist doch dumm, verstehst du das? Das war dumm von dir, dumm von dir, sehr dumm von dir. Und ich komm hierher und steck im Dreck. Verstehst du das? Sie wollen mich rausschmeißen, weil dieser Flachkopf von Schenk gehört hat, dass ich Mitglied bei den Deutschen Republikanern bin, und das gefällt ihm nicht. Der steht auch schon auf meiner Liste…«
»Auf… auf welcher Liste?«, fragte sie leise, mit dröhnenden Schmerzen zwischen den Händen, die sie an die Schläfen presste.
»Die wollen mich tatsächlich deswegen feuern«, sagte er ohne auf ihre Bemerkung einzugehen, »Schenk ist zu mir gekommen und meinte, wenn er das gewusst hätte, hätte er mich nicht eingestellt, dieser linksbourgeoise Wichser. Ist Filialleiter und macht den linken Hetzer. Wir haben ihn mal getroffen, in diesem Lokal, weißt du das noch, er saß da mit dieser Schwarzhaarigen…«
Sie erinnerte sich nicht. Sie erinnerte sich an nichts. Seine Stimme verschwand zwischen den Schlägen der Schmerzglocke und Rossi redete einfach weiter, sagte irgendetwas über den Filialleiter des Möbelhauses und sie hörte immer wieder seine Worte, aber was sie bedeuteten, begriff sie nicht, da war ein Vakuum um sie, in das kein Sinn drang, nur chaotisches Brabbeln und Hämmern, vor allem unaufhörliches Hämmern. Aber Rossi redete weiter, und dann streichelte er wieder ihr Gesicht, was sie im ersten Moment nicht bemerkte, weil sie taub vor Schmerzen war, und dann sah sie ihn an und jeder Blick tat ihr weh, ihre Augen waren nur noch Schlitze, umgeben von verfärbter aufquellender Haut, und sie hörte ihn sagen:
»Da bin ich halt ausgerastet, tut mir Leid, das war zu viel für mich, der Schenk, der Bulle, deine Lügerei. Du hast keine Ahnung, was du damit angerichtet hast, ich hoffe ja nicht, aber wenn, aber wenn…«
Abrupt stand er auf und ging hinaus zum Telefon. Erleichtert ließ Helga Ries den Eisbeutel fallen. Macht nichts, dann gibts eben eine Pfütze auf dem Teppich, macht nichts, dachte sie zermürbt, drehte ihr Gesicht zur Wand, vergrub es in einem Kissen und bekam allmählich eine Ahnung davon, was Rossi ihr angetan hatte. Nach und nach wurde ihr bewusst, was vorhin – Wie lange war das her? Wie lang lieg ich schon hier? – mit ihr passiert war. Erst jetzt erwachte sie aus ihrem Schockzustand. Und ihre Angst wuchs mit jedem mühevollen Atemzug. Sie dachte plötzlich, wenn er wieder ins Zimmer kommt, bringt er mich um, er legt mir eine Schlinge um den Hals und erdrosselt mich, er tötet mich, so wie er es versprochen hat. Daran erinnerte sie sich in diesem Augenblick so klar wie an nichts anderes.
Im Wohnzimmer saß Rossi auf der Couch und telefonierte. »… Sobald ich mit dem Chef gesprochen habe, melde ich mich bei Ihnen, ich glaube nicht, dass wir den Plan ändern müssen, aber ich muss mich absprechen… Nein, ich hab ihr eine Geschichte erzählt, wie immer, sie hat sie geglaubt… Gehen Sie jetzt zum Briefkasten, jetzt gleich, starten Sie Stufe zwei…«
Jedes Mal wenn Emanuel Hauser ihn ansah, dachte Süden: Ja, ich bins, ich bin der Neandertaler des 21. Jahrhunderts. So deutete er die Blicke des Staatssekretärs aus dem Bayerischen Innenministerium, der ihm vom ersten Moment an mit abschätzigem Staunen begegnet war. »Sie sind also der berühmte Süden«, hatte Hauser zur Begrüßung gesagt und ihn von oben bis unten betrachtet, als wäre er bei einem Modeltest. Null Punkte, dachte Süden, nachdem Hauser seine Musterung beendet hatte.
»Sie sind ja eine Berühmtheit, in den Medien und bei uns im Haus. Sie haben diesem Jungen da oben auf Helgoland das Leben gerettet, nicht wahr?« – »Ja.« – »Beeindruckend, lassen Sie uns anfangen.«
Daraufhin hatten sie an dem langen Tisch vor dem Fenster Platz genommen: Hauser, Funkel, Thon, Süden und sein Kollege Weber, Staatsanwalt Ronfeld und Rechtsanwalt Fischer. Bis auf Hauser, der seine Aktentasche auf den Boden stellte und sie dort bis zum Ende der Versammlung stehen ließ, hatte jeder einen mehr oder weniger hohen Stapel Papier vor sich liegen. In der Tischmitte standen Flaschen,
Weitere Kostenlose Bücher