German Angst
auf den Mund schaute. Das war kein Schauen, das war eine Beleidigung in Blicken. Hören Sie auf, Mann, es ist mir scheißegal, was Sie von mir halten! »Der Minister«, sagte er und griff nach einem Glas, »hält sich bedeckt, er kennt die Sachlage, er hält die Entführer für unberechenbar, und natürlich geht er davon aus, dass Sie die Frau unverletzt befreien. Deshalb würde ich ihm auch gern heute noch berichten, welche Schritte Sie als Nächstes planen.«
Er zog das Glas zu sich und Thon goss Mineralwasser hinein.
»Danke.«
Als Hauser den ersten Schluck trank, nahmen sich auch Funkel, Thon und Ronfeld ein Glas und Thon schenkte allen ein. Weber entschied sich für Orangensaft, Fischer für Kaffee und Süden für nichts. Funkel reichte die Schale mit Teegebäck herum, aber außer Hauser hatte keiner Lust darauf.
»Ich darf vielleicht ergänzen«, sagte der Staatsanwalt und strich ein Blatt Papier glatt, das er gerade aus einer Akte gezogen hatte, »sowohl Oberbürgermeister Zehntner als auch Kreisverwaltungsreferent Grote sind grundsätzlich nicht gegen eine Ausweisung von Lucy und Christoph Arano.«
»Das glaub ich nicht!«, stieß Weber hervor. Unter seinen buschigen Brauen wirkten seine Augen finster und bedrohlich und er stemmte die Hände auf den Tisch, so dass seine muskulösen, behaarten Unterarme zu sehen waren. Wie immer hatte er die Ärmel seines karierten Hemdes hochgekrempelt, weshalb sich Süden gelegentlich fragte, wieso sein Kollege nicht gleich kurzärmelige Hemden trug. Wahrscheinlich war es ein Spleen wie so manches andere im Leben des neunundfünfzigjährigen verwitweten und seit einigen Monaten frisch verliebten Hauptkommissars. »Was ist das für eine Information?«, sagte er entrüstet. »Wann haben Sie mit dem Oberbürgermeister gesprochen? Wissen Sie davon was?« Er richtete die letzte Frage an Rechtsanwalt Fischer. Dieser, der links neben Weber saß, sah hinüber zu seinem Freund und Tischtennispartner und kam sich wieder einmal ausgetrickst und blamiert vor. Abwesend schüttelte er den Kopf und wartete auf eine Erklärung Ronfelds. Stattdessen ergriff Hauser das Wort: »Davon habe ich vor einer halben Stunde gehört«, sagte er.
»Von wem?«, fragte Funkel schnell. Er musste jetzt wachsam sein. Und er durfte nicht emotional werden. Fragen, antworten, fragen, antworten, sonst nichts, sonst nichts.
»Von mir«, sagte Ronfeld.
»Wieso haben Sie uns nicht informiert?«, fragte Funkel.
»Ich hab es hiermit getan.«
»Was genau hat der Oberbürgermeister gesagt?«, wollte Weber wissen.
»Er sagte, die Stadt müsse sämtliche rechtlichen Instrumentarien ausschöpfen.«
»Wir gehen vor den Verwaltungsgerichtshof, wenn die Stadt beschließen sollte, Lucy auszuweisen«, sagte Fischer und machte sich eine Notiz. Der Zorn, den er auf Ronfeld hatte, sprengte die Grenzen eines Untertons.
»Das ist mir klar«, sagte Ronfeld.
»Ich glaub nicht, dass Zehntner das Mädchen ausweisen will«, sagte Weber. Seine Ohren waren himbeerrot, was nichts mit seiner Aufregung zu tun hatte, sondern mit seiner Durchblutung. Trotzdem wirkte er jetzt unbeherrscht und fast cholerisch, was überhaupt nicht zu ihm passte. »Das ist doch kein Reaktionärer! Entschuldigen Sie, Herr Ronfeld, aber ich glaube Ihnen nicht, Sie sind der Staatsanwalt, der Ankläger, Ihr Interesse ist es, das Mädchen vor Gericht zu bringen und verurteilt zu sehen…«
»So ist es«, sagte Ronfeld.
»Was Sie versuchen«, sagte Weber wütend, »ist, unsere polizeilichen Ermittlungen zu unterlaufen und uns in eine bestimmte Richtung zu leiten, die mir nicht gefällt.«
Ronfeld lachte tonlos.
»Das finden Sie lustig? Sie finden das lustig, so mit einer Vierzehnjährigen umzuspringen?«
»Bitte, Paul!«, sagte Volker Thon, der bisher geschwiegen hatte. Er war froh, dass Süden sich so lange zurückgehalten hatte, dessen Part nun anscheinend Weber übernahm. »Wir analysieren gerade die Umstände, nichts ist entschieden, bitte beruhige dich!« Dann beugte er sich etwas vor und wandte sich an Ronfeld, der links neben Funkel saß. »Wären Sie so nett und würden uns genau erklären, welchen Standpunkt das KVR und der Oberbürgermeister einnehmen? Welche rechtlichen Instrumentarien sind das, von denen Sie gesprochen haben?«
»Das ist einfach«, sagte Ronfeld, »die Aufenthaltsgenehmigung von Lucy Arano wird nicht verlängert. Und da sie nach beziehungsweise direkt an ihrem vierzehnten Geburtstag zwei Straftaten begangen hat, ist sie
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