German Angst
Ermittlungen und er berichtete ihr alles. Als er wieder zum Bett sah, bemerkte er, dass Sonja eingeschlafen war. Er küsste sie auf die Stirn, die heiß und nass von Schweiß war, stellte ihr zwei volle Flasehen Mineralwasser ans Bett und ging. Obwohl jeder im Dezernat behauptete, er, Süden, sei ein verbohrter Einzelgänger, der die Fälle am liebsten allein bearbeiten und alle Gespräche unter vier Augen fuhren wolle, fühlte er sich wohler, wenn Sonja ihn begleitete, wenn sie ihn antrieb, wenn sie seine Grübeleien unterbrach und seine Langsamkeit torpedierte, die im Grunde eine Schau-Erschöpfung war, eine Müdigkeit, die von seinen Blicken ausging, die er sogar in seinen Träumen spürte. Mit Sonja an seiner Seite gelang es ihm, als Polizist zu funktionieren, jedenfalls eine Zeit lang, und seit sein bester Freund Martin nicht mehr lebte, war sie der einzige Mensch, den er in seiner Nähe duldete. Noch weniger als früher nahm er inzwischen Ratschläge an, und wenn er im Dienst Aufträge erhielt, musste er sich Mühe geben, sie nicht sofort wieder zu vergessen. Es fiel ihm immer schwerer, Teil einer Gruppe zu sein und eine Gruppe als Fundament seiner Arbeit zu akzeptieren. Und so stemmte er sich nachts oft gegen die Wand, furchtvoll und bleiern vor Schwermut. Funkel würde ihn zum psychologischen Dienst schicken, wenn er davon erfahren würde. Also redete er nicht darüber in der irren Annahme, seine Stummheit wäre eine schöne Maske.
»Hörst du mir zu?«, sagte Freya und klopfte mit einem Lineal auf seinen linken Arm. »Ich hab hier ein paar Namen.«
Süden stand auf, ging zu ihr, beugte sich über sie und roch den frischen Duft ihrer Haare. Sie hörte sein Schnauben.
»Nivea-Shampoo, eine Mark achtundneunzig im Supermarkt«, sagte sie.
»Riecht teurer«, sagte er.
»Das ist der Trick.« Sie zeigte auf einen bestimmten Namen in der langen Reihe. »Den kennst du, oder?« Josef Rossi.
»Deshalb hat sie nichts gesagt! Woher hast du die Namen?«
»Von unserem Freund.«
»Ich wusste nicht, dass auch die Deutschen Republikaner vom Verfassungsschutz beobachtet werden.«
»Ich glaub, offiziell werden sie das auch nicht«, sagte Freya, »aber du darfst nicht vergessen, wir haben eine gläserne Demokratie.«
»Das hab ich vergessen«, sagte Süden.
»Das ist ein Fehler.« Sie grinste wieder und Süden fand, es war mehr ein Lächeln, ein kindlicher Frohsinn, von kleinen Dingen entfacht. Süden erwiderte ihr Lächeln.
»Wir sind schon tolle Hechte«, sagte sie.
»Ja, mit dieser Technik und diesen Experten können wir uns rasend schnell geheime Informationen beschaffen.«
»Und es bedeutet mir nix«, sagte Freya. »Es ist bloß ein Spiel, stimmts? Manchmal hat es einen Zweck, manchmal ist es gefährlich und manchmal ist es sinnlos.«
Süden streckte den Rücken und stützte sich noch einmal auf Freyas Schultern ab.
»Nimm so viel Glasfasern, so viele Kabel, Daten und Mikrochips, wie du willst«, sagte er, »und am Ende steht derselbe unberechenbare, blutrünstige, armselige Neandertaler vor dir wie zu allen Zeiten. Wir sperren ihn ein und draußen wartet schon der nächste.«
»Zu Ende philosophiert?«
Sie schauten beide gleichzeitig zur Tür. Thon stand da, mit einem Stapel weißer Blätter in den Händen. »Der Staatssekretär ist gekommen. Wir sind oben bei Funkel.« Er verschwand. Süden schraubte die halb volle Wasserflasche auf und trank sie aus. »Ich hab Hunger«, sagte er.
»Ich schau mir die Sendung an und schreib mit«, sagte Freya und drehte sich zum Fernseher. Das Magazin »Vor Ort« fing an. Natürlich wurde als Erstes der unerwartete Monolog des Staatsanwalts auf der Pressekonferenz heute Morgen wiederholt. Süden machte, dass er aus dem Zimmer kam.
»Du siehst schon wieder viel besser aus«, sagte er und streichelte ihr geschwollenes Gesicht. Sie lag auf dem Bett, in eine Wolldecke gehüllt, und presste einen Eisbeutel auf ihre Stirn. Wie eine eiserne Glocke, die hin und her schwang, schlug ein dumpfer Schmerz von einer Seite ihres Kopfes zur anderen und so krampfhaft sie auch versuchte an irgendetwas zu denken, das Wummern hörte nicht auf, und wenn sie es für ein paar Sekunden vergaß, war es hinterher umso schlimmer.
Fünfzehn Minuten hatte sie unter der Dusche gestanden und lauwarmes Wasser über ihren wunden Körper laufen lassen, blassrotes Blut rann zwischen ihren blaulackierten Zehennägeln in den Abfluss, es kam ihr vor wie eine unbekannte Flüssigkeit, und dann musste sie
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