Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
German Angst

German Angst

Titel: German Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
Vom Netzwerk:
Einzelhaft.«
    »Vielleicht redet sie mit mir.«
    »Die redet mit niemandem.«
    »Eine halbe Stunde.«
    Elisabeth Kurtz schüttelte den Kopf. Immer wieder sah sie die Szene vor sich: Alles ist friedlich, Lucy, die Reporterin und deren zwei Kollegen, und sie, Elisabeth, sitzen im Kommunikationsraum, reden, hören zu, stellen Fragen. Lucy antwortet, Lucy lächelt, Lucy spielt mit ihren Zöpfen, und plötzlich – plötzlich rastet sie aus, schnellt hoch und packt die Reporterin, wirft sie auf den Boden und sich auf sie drauf und schlägt zu. Keiner der beiden jungen Männer greift ein, und sie, Elisabeth, sie ist perplex, sie steht bloß da und sieht zu, genau wie der eine junge Mann, der seine Aktentasche an sich klammert wie aus Angst, Lucy könne sie ihm aus der Hand reißen und damit um sich schlagen. Und dann zerrt endlich der andere Lucy von der Reporterin weg, schlägt sie, und sie leckt sich die Lippen, tritt gegen die Wand, und die Frau am Boden blutet und…
    Lucy lag auf der Pritsche, ohne Decke, die auf den Boden gerutscht war. Süden setzte sich auf den Klappstuhl aus gelbem Plastik und gab der Psychologin ein Zeichen, die Tür zu schließen.
    In der Zelle roch es nach Schweiß und Urin, nach Putzmitteln und Parfüm. Kein Tisch, nur die Pritsche und eine Kloschüssel, kein Waschbecken. Den Klappstuhl hatte Süden mitgebracht. Über der Tür brannte ein weißes Neonlicht, das kalt war wie Packeis.
    »Was ist passiert, Lucy?«
    Sie schwieg. Sie lag mit dem Rücken zu ihm, die Beine angewinkelt, die Hände unter dem Körper vergraben. Sie trug einen grauen Pullover, eine schwarze Hose, die ihr zu groß war, und zerfledderte Turnschuhe, keine Socken.
    »Was ist passiert, Lucy?«
    Er stellte die Frage noch mehrere Male, dann stand er auf, setzte sich auf die Pritsche, lehnte sich an die Wand und schaute sie so lange an, bis sie seine Blicke in ihrem Rücken nicht mehr ertrug. Sie drehte ihm den Kopf zu und streckte ihm die Zunge raus. Blitzartig schoss Südens Arm nach vorn und mit drei Fingern packte er ihre Zunge. Lucy erschrak. Er ließ nicht los. Sie war so überrascht, dass sie stillhielt. Seine Finger taten ihr weh. Je länger er ihre Zunge fest hielt, desto weiter öffnete sie den Mund, unbeabsichtigt. Ein grotesker Anblick, fand Süden. Vorsichtig richtete Lucy sich auf. Ihre zwei Zöpfe mit den bunten Steinen baumelten vor ihrem Gesicht. Die Augen waren schwarze, funkelnde Spiegel ihres Zorns.
    »Was ist passiert, Lucy?«
    Aus ihrem Mund kam ein gurgelndes Geräusch. Langsam trieb ihr der Zangengriff die Tränen in die Augen, lange würde sie es nicht mehr aushalten, das wusste sie so genau wie Tabor Süden. Er bewegte sich nicht. Wieder war ein Röcheln zu hören. Dann vergingen etwa drei Minuten, in denen es vollkommen still war.
    »Was ist passiert, Lucy?«
    Sie hatte noch gar nicht begriffen, dass er losgelassen hatte. Der Druck war immer noch da, ihr Mund stand immer noch offen, ihre Augen tränten. Noch nie war ihr etwas so peinlich gewesen. Am liebsten hätte sie ihm erst mal das Nasenbein zertrümmert. Aber das konnte sie nicht. Denn auf einmal, und sie fühlte sich wehrlos wie noch nie, bekam sie einen Heulkrampf, unkontrollierbar, erdbebenartig, und sie dachte: Gleich werd ich verrückt und dann erstick ich.

9   16. August, 19.07 Uhr
    » U nd wenn nicht? Hast du mit deinem Vater darüber gesprochen?«
    »Wir lassen uns hier nicht wegschicken, kapiert? Das ist ja ein Witz!«
    Nicole schrieb etwas auf und Lucy wippte mit den gefalteten Händen. Wenn das Gespräch so weiterläuft, dachte Elisabeth Kurtz, brauch ich mir keine Sorgen zu machen, Lucy lügt das Blaue vom Himmel runter und wenn die Reporterin alles glaubt, ist sie selber schuld.
    »Kommst du zurecht hier im Gefängnis?«
    »Klar. Nur das Essen ist Scheiße.« Die beiden jungen Männer grinsten.
    »Was würdst du denn lieber essen?«
    »Himbeerkuchen.«
    »Du magst gern süße Sachen.«
    »Nö. Nur Himbeerkuchen.«
    »Es gibt viele Leute, die behaupten, du wärst ein gefährliches Mädchen, du würdest die ganze Stadt bedrohen, du wärst so was wie eine Räuberbraut. Siehst du dich so? Wie ist das, wenn du beschließt loszuziehen und was anzustellen?«
    Lucy blickte der Reporterin sekundenlang starr in die Augen und versteckte ihre Hände unter den Achselhöhlen.
    »Ich zieh los und stell was an«, sagte sie. Frag mich, Rotkäppchen, los, frag mich, frag mich immer weiter, jetzt hast du deine Chance, zeig, ob du mutig

Weitere Kostenlose Bücher