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German Angst

German Angst

Titel: German Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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dem im Gefängnis noch nichts zu sehen gewesen war. Sie sprach mit leiser Stimme, als habe sie starke Schmerzen in der Luftröhre. Ihre roten Haare waren streng nach hinten gekämmt, ihr Teint sah leichenblass aus.
    »Das kann man sich überhaupt nicht vorstellen, dass dieses Mädchen plötzlich auf den Tisch springt und über einen herfällt wie ein wildes Tier, wenn ich das sagen darf«, sagte Dieter Fromm.
    »Wir waren völlig ahnungslos«, sagte Nicole heiser, »wir hatten um ein Gespräch gebeten, und die Psychologin, Frau Doktor Kurtz, versicherte uns, Lucy Arano sei bereit, ein paar Fragen zu beantworten. Und sie war auch zunächst ganz friedlich…«
    »Also keine Anzeichen von Aggressionen oder Hass«, sagte Fromm.
    »Nein, sie begrüßte uns, wir gingen in das Zimmer, wir setzten uns hin, alles ganz zivilisiert. Lucy machte auf mich den Eindruck eines Mädchens, das sehr verwirrt ist, sehr… mit sich im Clinch, möchte ich sagen, sie tat mir fast Leid…«
    Hastig trank er einen Schluck Wasser, dann schrieb er weiter mit, jedes Wort, das gesprochen wurde. »Sie hat ihre allerletzte Chance verspielt«, sagte Niklas Ronfeld zu seiner Frau, die niedergeschlagen neben ihm saß.
    »Ich glaub das nicht«, sagte Sibylle. »Die haben da was manipuliert, die haben was rausgeschnitten, du weißt doch, wie die arbeiten, da fehlt der entscheidende Moment.«
    Ronfeld nahm ein neues Blatt, seine Schrift war groß und lang gezogen. »Das Mädchen hat getan, was sie immer tut«, sagte er und warf einen Blick zum Fernseher, »sie tobt sich aus ohne Rücksicht auf Verluste.«
    »Sie tut mir Leid«, sagte Sybille.
    »… sie tat mir fast Leid, wie sie so dasaß mit ihrem für ihr Alter doch wuchtigen Körper«, sagte Nicole Sorek.
    »Wenn man sie so sieht…«
    »… könnte man sie für sechzehn halten, sogar für siebzehn…«
    Stumm saß das Paar auf der Couch, gerade hatten sie sich noch gestritten, über die alte Geschichte, wie immer über die alte Geschichte, aber nun schüttelten sie beide nur den Kopf, keiner fand Worte für das, was er sah. Als zum dritten Mal die Szene gezeigt wurde, wie Lucy auf den Tisch sprang, sagte Jens Zischler: »Möcht man nicht glauben, dass die so wendig ist bei ihrem Gewicht.«
    »Du bist so was von gemein«, sagte Ellen. Dann schauten sie weiter zu und dann sagte sie: »Und du bist und bleibst ein Schlappschwanz.«
    »Ich geh nicht zur Polizei«, sagte er. »Wenn ich erst jetzt hingeh und denen von dem Überfall erzähl, steh ich da wie der Oberfeigling.«
    »Du bist der Oberfeigling.«
    Sie schwiegen. Zischler warf sich eine Hand voll Erdnüsse in den Mund. »Das sieht aus wie bei mir im Büro, der eine Typ hat mich genauso vermöbelt.«
    »Vermöbelt?«, sagte Ellen. »Er hat dich krankenhausreif geprügelt und ich versteh einfach nicht, wieso du das so hingenommen hast, das versteh ich bis heute nicht.«
    »Es ist vorbei«, sagte er.
    »Ist es nicht!«, sagte Ellen heftig. Er griff nach ihrer Hand, aber sie zog sie weg.
    »… Ich hab das Mädchen ja zum ersten Mal hautnah erlebt«, sagte Nicole Sorek. »Sie hat eine Ausstrahlung, das muss ich zugeben…«
    »Und dann hast du deine Fragen gestellt und plötzlich hast du geglaubt, du bist im falschen Film, wenn ich das so sagen darf«, sagte Dieter Fromm.
    »Ja, Dieter, so ungefähr. Meine Kollegen haben die letzten Fragen kurz vor Lucys Angriff herausgeschnitten, wir blenden diesen Ausschnitt jetzt mal ein…«
    »Fühlst du dich schuldig für das, was du getan hast?«, fragte Nicole.
    »Manchmal«, sagte das Mädchen und senkte den Kopf…
    »Hab ich doch schon gesehen«, sagte der Mann in der Strickjacke, der allein vorm Fernseher saß, Zeitungen vor sich auf dem Tisch ausgebreitet und die Hände hinter dem Kopf gefaltet hatte. Ihn erinnerte dieses Mädchen an die Schwarzen, die in Ostdeutschland leben mussten, wie er meinte, und die, wenn die Brüder und Schwestern ihren Rappel kriegten, durch die Städte gejagt und totgeprügelt wurden. Für den Mann war es unfassbar, dass es hier im Westen Leute gab, die eine Frau entführten, um einen Neger mit seinem schwarzen Kind loszuwerden, das war doch jenseits aller Vernunft! In Mecklenburg-Vorpommern: vorstellbar. In Brandenburg: möglich. Aber doch nicht im Westen! Er stöhnte laut und schüttelte den Kopf, als er schon wieder zuschauen musste, wie dieses Mädchen über die Reporterin herfiel. »Berufsrisiko«, sagte der Mann.
    »Ich war einfach nicht darauf vorbereitet«, sagte

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