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German Angst

German Angst

Titel: German Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Gewichte in den Lidern, ein Überdruss an Anwesenheit. Aber was sollte er tun? Weglaufen? Seiner Einschätzung nach liefen sie alle schon die ganze Zeit weg, alle, das Dezernat, die Stadt, das Land, liefen alle wie vom Teufel gejagt aufs Unterholz zu, um sich zu verkriechen. Und er? Was tat er? Bat um ein Rendezvous mit dem Teufel. Und wurde geschlagen und frech angeredet, und? Nichts, ich nehm mir den Klappstuhl und setz mich wieder drauf. Und jetzt? Jetzt warte ich. Worauf? Auf eine Erklärung. Vom Teufel? Von einem verteufelten Kind, das sie einsperren werden, was sonst. Und, was willst du dagegen tun? Du bist Polizist, dein Job ist es, sie zu schnappen und in Haft zu nehmen bis zur Verhandlung, das ist passiert. Alles erledigt. Jetzt sind die anderen dran, die Richter, die Staatsanwälte, die Politiker. Was tust du dann noch hier?
    »Was willst du hier?«, fragte Lucy und federte mit dem Rücken gegen die Wand.
    »Ich will was von dir wissen.«
    »Das erfährst du aber nicht.« Trotzig grinste sie ihn an, sprang von der Pritsche, war mit einem Schritt bei der Tür und riss sie auf. »Hey, ist nicht abgesperrt! Wollen die, dass ich fliehe und mich dann auf der Flucht erschießen?« Sie trat auf den Flur hinaus. »Hey!«, rief sie. »Aber richtig zielen, ja? Ich hab keine Lust, hinterher ein Krüppel zu sein, kapiert? Mein Herz ist hier, hier!« Mit der Faust trommelte sie auf ihre linke Brust.
    »Hier, da müsst ihr hinzielen, soll ich einen roten Punkt auf meinen Rücken malen? Mach ich, ihr Wichser!« Die letzten Worte hatte sie aus vollem Hals geschrien. Jetzt ging sie in die Zelle zurück und knallte die Tür zu.
    »Und du!«, fauchte sie. »Schau nicht so dämlich wie ein Affe!«
    »Ich bin der Neandertaler des 21. Jahrhunderts«, sagte Süden. Wieder grinste Lucy. »Besser kann mans nicht ausdrücken.«
    Sie fühlte sich ratlos, gebremst von ihrer Wut, die nicht mehr richtig toben wollte. Irgendwie fühlte sie sich auf einmal angeödet. Lauer Laden, Mann, ich bin müde, wieso lassen die mich nicht einfach schlafen, wenn ich schlaf, hab ich wenigstens meine Ruhe.
    »Ich will da sitzen!«
    Süden stand auf. Sie versetzte dem Klappstuhl einen Tritt und er krachte gegen die Wand und kippte um. Sie stellte ihn auf und setzte sich hin.
    »Glotz nicht so, verzieh dich!«
    Süden schaute sie weiter regungslos an.
    »Das Spiel verlierst du, Alter!« Sie jagte ihm einen stechenden Blick in die Augen und hörte nicht mehr damit auf. Nach einer Weile setzte sich Süden auf die Pritsche.
    »Was hab ich gesagt? Mach dir nichts draus, die Welt ist voller Loser.« Breitbeinig wie ein Junge saß sie da, die Hände hinter dem Rücken, den Kopf im Nacken.
    »Die Reporterin ist schwer verletzt, die Psychologin wird ihren Job verlieren, vielleicht auch der Anstaltsleiter, aber der hat wahrscheinlich gute Beziehungen. Die Leute hassen dich noch mehr als vorher und der Staatsanwalt reibt sich die Hände. Jetzt weiß endlich ganz Deutschland, was für ein Monster du bist.«
    »Die dürfen das doch überhaupt nicht senden«, sagte Lucy und streckte die Beine von sich, »die haben da illegal gefilmt, das ist verboten.«
    Süden sprang auf. »Bist du blind?«, brüllte er. Instinktiv zog Lucy die Beine an. »Die senden das so lange, bis der Letzte verstanden hat, dass du die größte Bedrohung für ihn bist, die er sich nur vorstellen kann!« Seine Stimme wurde immer lauter und Lucy sah, wie sich die Narbe an seinem Hals dunkelrot färbte. »Ich weiß nicht, warum du die Frau verprügelt hast, ich weiß nicht, warum du eine Menge Leute verprügelt hast, der Staatsanwalt behauptet, du hast bis zur Geschichte im Kunstpark Ost achtundsechzig Straftaten begangen, damit wären es jetzt einundsiebzig! Das ist eine Lüge, du hast genau drei Straftaten begangen: Du hast einen Jungen zusammengeschlagen, der dein Handy nicht kaufen wollte, du hast zuvor ein Paar in seinem Auto überfallen und du hast einer Journalistin klargemacht, was es bedeutet, seine Meinung frei zu äußern. Das ist alles. Mehr hast du, seit du strafmündig bist, nicht getan. Dreimal zugelangt!« Er kam auf sie zu und etwas Merkwürdiges geschah, über das Lucy später noch lange nachdachte. Süden baute sich nicht vor ihr auf, um ihr weiter ins Gesicht zu schreien, sondern er drehte sich zur Seite und brüllte die Wand an. Als säße dort vor der zerkratzten, schäbigen Mauer sein Gegenüber, erhob er seine Stimme in diese Richtung und stierte wie ein Wahnsinniger

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