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German Angst

German Angst

Titel: German Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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überhastet gegangen? Wieso ließ sie ihn allein, wenn es ihm schlecht ging, wieso sagte sie im Krankenhaus, sie habe den ganzen Nachmittag Zeit, und jetzt musste sie auf einmal so schnell wie möglich zurück in die Kanzlei?
    Jens Zischler setzte sich auf die Couch, berührte behutsam den dicken Verband in seinem Gesicht und presste die Beine aneinander. Ihm war kalt. Obwohl es schwül im Zimmer war. Und er hatte den Trainingsanzug an und darunter ein T-Shirt, die neuen Sachen, die ihm Ellen heute gekauft hatte. Die Kälte kommt von meinen Gedanken, dachte er, ich denke an nichts anderes als an den Mann, der auf mich eingedroschen hat, und an die Frau, die regungslos an der Tür stand und dabei zuschaute, wie ich fast verreckt bin. Zwei Verrückte! Daran hatte er überhaupt noch nicht gedacht! Zwei Verrückte hatten ihn überfallen, natürlich, zwei, denen nicht klar war, was sie da anrichteten, wen sie da brutal misshandelten. Jens Zischler stieß einen leisen Schrei aus. Zwei Beknackte, wahrscheinlich betrunken, total zu, die wollten was einkaufen, haben die Frau mit dem Kopftuch gesehen, Nuriye, und fassten in ihren zugedröhnten Schädeln den Entschluss, dem Manager mal die Meinung zu geigen.
    Er nickte. Solche Typen gab es, er hatte darüber gelesen, total fehlgeleitete Idioten, die eimerweise Bier soffen und dann einen auf Nazis machten, randalierten, Sprüche klopften. Ja, dachte Zischler und nickte wieder heftig, ja, und diesmal hat es eben mich erwischt, Pech, hätte auch meinen Kollegen treffen können, der ist in Urlaub, Glück gehabt, die hätten sich jeden gegriffen, der da im Büro hinterm Schreibtisch saß. Diesmal wars eben ich, dumm gelaufen, saudumm. Eigentlich ein Wunder, dass so etwas nicht schon längst mal passiert ist, am Stachus hängen eine Menge kranker Typen rum, betteln, rempeln Passanten an, arme Schweine, Junkies, aber auch Jungs mit Messern und Pistolen und Schlagringen, so wie der Kerl vorhin. Wir müssen einen Wachdienst engagieren! Das hab ich schon letztes Jahr vorgeschlagen, aber die Firmenleitung behauptet, das bringt nichts, kostet nur Geld, schreckt die Kunden ab. Falsch, ganz falsch!
    Zischler stand auf und setzte sich wieder. Als hätte er auf einer Mitarbeiter-Versammlung im Zeitraffer einen Vortrag gehalten, wäre aufgestanden zu Beginn und hätte sich wieder gesetzt nach dem Ende seiner Ausführungen. So wie er der Firmenleitung seinen Vorschlag mit der Security erläutert hatte.
    Jetzt spürte er ein Pochen in der Wange, und an der Stelle, wo ihm der Zahn gezogen worden war, begann sich ein nagender Schmerz auszubreiten. Ja, dachte er schnell, die sind von draußen reingestürmt, natürlich hat wieder mal niemand was bemerkt, die haben ja auch hinterher ewig gebraucht, bis sie mich gehört haben. Und dann ging alles ganz schnell. Und danach hat auch niemand was gesehen. Ist schon erstaunlich, die müssen doch irgendwem aufgefallen sein! Unsinn! Die sind bestimmt hinten raus, über die Treppe, das ist der nächste Weg vom Büro aus. Alles ganz klar.
    Wieso hatte er das alles nicht der Polizei gesagt? Wieso hatte er herumgestottert und die Beamten angelogen? Aus welchem Grund? Nachdem doch alles ganz einfach zu erklären war.
    Er betrachtete seine Hände, zwei Pflaster rechts und links, und die Hände zitterten. Er sah sie zittern und konnte nichts dagegen tun. Sie waren bleich und knochig, Abschürfungen an den Fingerkuppen, Kratzer, blutige Striemen, und das Zittern wurde heftiger.
    Ich bin ein Spinner, Ellen hat Recht, dachte er. Doch in diesem Moment wurde ihm wieder bewusst, warum er der Polizei nicht die Wahrheit gesagt hatte, alles, was er sich soeben ausgemalt, in das er sich in trügerischer Euphorie hineingesteigert hatte, entsprang nur seinem panischen Wunsch, nicht zur Kenntnis nehmen zu müssen, was unübersehbar war: Der Mann und die Frau in seinem Büro meinten es ernst, sie waren keine Kiffer, Alkoholiker oder durchgeknallte Trottel, sie waren nicht gekommen, um ein paar markige Sprüche abzulassen und draufloszuschlagen, egal auf wen. Sie waren gekommen, um ein Ziel zu erreichen. Um ihn, den Geschäftsführer, zu zwingen, eine ausländische Kollegin zu entlassen. Sie waren gekommen, stellte er sich vor, wie früher die SA, und dieser Gedanke kam ihm sofort ebenso lächerlich wie entsetzlich vor.
    »Sie meinen es ernst«, sagte er laut und blickte zum Fernseher mit dem Maßkrug obendrauf, in dem der Stoffdackel hockte, der die Polizeimütze trug.
    Nein,

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