German Angst
den Kopf und lächelte.
»Ich mag das, wenns gut riecht. Leih ich dir mal«, rief sie Jimmy zu, »damit deine Nase mal was Gutes zu riechen kriegt und nicht immer nur Shit.«
Jimmy nickte und grinste und trat von einem Bein aufs andere.
»Das Handy nehm ich mit, die andern Sachen lass ich hier, okay?« Flink wie ein Zauberkünstler ließ Lucy den kleinen Apparat in ihrer Jacke verschwinden. Natalia beobachtete sie, sprachlos und verärgert. Wieso sagst du nichts, Chris, die kommt hier rein, nimmt uns gnädig zur Kenntnis und rupft ihre Geschenke auf, als würd das alles nicht einen Haufen Geld kosten. Wozu braucht eine Vierzehnjährige überhaupt ein Handy, die sieht doch ihre Freundinnen sowieso andauernd?
»Tamara hat angerufen und nach dir gefragt«, sagte Natalia ernst.
»Ja«, sagte Lucy, die schon an der Tür war und Jimmy zur Seite schob. »Ich hab sie getroffen, keine Ahnung, was mit der los ist. Ich hab ihr verboten noch mal bei dir anzurufen. Wir waren verabredet und ich hab keine Zeit gehabt, ist das ein Grund, gleich die Panik zu kriegen? Blöde Gans!«
»Wir haben mit dem Polizisten gesprochen, mit dem du in dem Café warst«, sagte Natalia. Wenn Chris den Mund nicht aufbrachte, wollte wenigstens sie zeigen, dass man auf dem Kummer anderer nicht herumtrampeln durfte wie auf einer ausgeleierten Matratze. »Wir haben uns Sorgen gemacht und dich als vermisst gemeldet…«
»Nicht schon wieder!« Lucy schlug sich gegen die Stirn.
»Lass mich ausreden! Es ist nicht nötig, dass du Tamara verbietest, bei mir anzurufen, das tut sie nämlich sowieso selten. Deswegen waren wir besorgt, dein Vater und ich, weil sie gesagt hat, das wär noch nie vorgekommen, dass ihr verabredet seid und du nicht auftauchst. Du warst vier Tage weg, Lucy, und heute ist dein Geburtstag und du kommst zu dieser Uhrzeit hier rein, als wär nichts, und wir warten seit Stunden auf dich. Was ist denn passiert? Red mit uns, Lucy! Sag uns, was dich bedrückt, vielleicht können wir dir helfen.«
»Was hat der Polizist gesagt?«
»Was?« Natalia war irritiert. »Welcher Polizist? Ach, Herr Süden…«
»Was hat der gesagt?« Lucy kam noch einmal ins Zimmer. Sie sah Natalia in die Augen und diese verstummte vor Schreck. Diesen Blick kannte sie und er flößte ihr jedes Mal Unbehagen ein. Woher, dachte sie stets, kam diese Finsternis bei einem so jungen Mädchen?
»Er hat gesagt, du hast Himbeerkuchen gegessen«, sagte Arano, ging zu ihr und streichelte ihre Wange. »Und er hat gesagt, du hast einen ruhigen Eindruck gemacht. Stimmt das?«
»Sonst hat er nichts gesagt?«, fragte Lucy und zog die Stirn in Falten. Was war mit Netty los, was machte die auf einmal für ein Gesicht? Sieht ja total verhutzelt aus.
»Nein«, sagte Arano.
»Was hast du in Schwabing gemacht?«, fragte Natalia gleichzeitig.
»Was?«, sagte Lucy. Sie hatte keine Lust zu antworten, sie war schon wieder viel zu lange hier. Wenn ich bloß dran denk, dass ich jetzt vierzehn bin, könnt ich schon abkotzen! Und beinah hätte sie vergessen, weshalb sie überhaupt gekommen war.
»Steh nich im Weg!«, blaffte sie Jimmy an, verschwand in ihrem Zimmer und knallte die Tür zu. Zappelnd wie vor einer geschlossenen Toilettentür stand Jimmy im Flur und hopste von einem Bein aufs andere.
»Gehts dir nicht gut?«, fragte Arano, der mit Natalia aus dem Wohnzimmer kam.
Jimmy nickte, fuchtelte mit den Händen in den Hosentaschen herum und wartete ungeduldig darauf, dass Lucy zurückkam.
»Du darfst sie nicht wieder weggehen lassen«, sagte Natalia zu Arano.
Die Tür flog auf und Lucy kam aus ihrem Zimmer.
»Du musst morgen in die Schule«, sagte Arano. Auf ihn machte seine Tochter einen halbwegs normalen Eindruck. Sie war nicht bekifft wie dieser Jimmy, der nur noch vor sich hin grinste, sie hatte keine Fahne, wie manchmal, wenn sie von ihren Freunden kam; dabei mochte sie Alkohol nicht besonders. Und sie sah, fand Arano, ausgeschlafen und gesund aus. Er wusste, so etwas durfte er unter keinen Umständen zu Netty sagen, die hätte ihn angeschrien und ihm vorgeworfen, vollkommen geblendet von seiner hübschen Tochter zu sein und es auch noch zu genießen, wenn sie ihm auf der Nase herumtanzte, ihn anlog und nicht nach Hause kam wie eine Streunerin. Aber er durfte nicht ungerecht sein. Netty kümmerte sich um Lucy, wenn er mal wieder keine Zeit hatte, sie machte sogar Hausaufgaben mit ihr und brachte sie dazu, morgens pünktlich aufzustehen und ordentlich zu frühstücken.
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