German Angst
seinen Händen. An der Wand gegenüber hing ein verzierter Spiegel und sie konnten ihre Gesichter sehen.
»Der schwarze Mann und seine blonde Frau«, sagte sie.
»Ich werde dich nie verlassen«, sagte er.
»Das brauchst du auch nicht«, sagte sie, »denn ich werde vor dir sterben.«
Er hielt ihr mit einer Hand die Augen zu, mit dem freien Arm umfasste er ihren Bauch.
»Unser Leben fängt gerade erst an«, sagte er leise.
»Vermisstenstelle, Epp.«
»Kollegin«, sagte Polizeihauptmeister Ernst Sand, »wir haben eure Ausreißerin gefunden, die kleine Negerin.«
»Wo?«, fragte Freya Epp und gab ihrem Kollegen Nolte, der in der Zeitung vom nächsten Tag blätterte, ein Zeichen.
»Kunstpark Ost. Vor dem Babylon. Ziemlicher Auflauf hier, grad kommt der Sanka.«
»Was ist denn passiert?«
»Was passiert ist, Kollegin?« Sand machte eine kurze Pause.
»Entschuldigung, ich hab grad dem Sanitäter den Weg freimachen müssen. Was passiert ist? Das Mädchen hat einen Gleichaltrigen zusammengeschlagen. So wies aussieht, wollt sie ihm ein Handy andrehen, aber er wollt das Ding nicht. Es ist zum Streit gekommen und dann hat sie zugeschlagen. Der Junge ist schon auf dem Boden gelegen, haben Zeugen gesagt, und sie hat weiter auf ihn eingedroschen. Mit einer Zaunlatte, die sie eigenhändig aus einem Absperrungszaun rausgebrochen hat, das müssen Sie sich mal vorstellen, Frau Kollegin! Der lag da und hat geblutet und das Mädchen holt so ein Stück Holz und drischt auf ihn ein. Wieso macht die so was? Der Junge sieht übel aus, er ist voller Blut, Gesicht aufgequollen, offene Wunden, Nasenbein gebrochen wahrscheinlich. Ein paar Jungs haben eingegriffen, aber die kleine Negerin ist ziemlich gut beieinander, die hat dann gleich noch zwei andere erledigt. Meine Kollegen haben ihr Handschellen angelegt, sonst ist die nicht zu bändigen. Außerdem hat sie vorher mit einem Freund ein Pärchen in einem Auto überfallen und ausgeraubt, die haben einfach die Fahrertür aufgerissen und dem Paar ein Messer vor die Nase gehalten, die junge Frau ist dabei verletzt worden, nicht schlimm, aber sie hat ganz schön geblutet. Die Negerin und ihr Komplize haben dreihundert Mark, eine Armbanduhr und einen Ring geklaut. Der Junge ist verschwunden, wir suchen ihn noch, wahrscheinlich ist er noch auf dem Gelände. Als der junge Mann in dem Auto was sagen wollte, hat ihm die Negerin mit der Faust auf die Nase geschlagen. Ich hab so was noch nicht erlebt, die ist völlig durchgeknallt, die muss man aus dem Verkehr ziehen, bevor sie jemand umbringt, das ist ja Wahnsinn mit der. Holt ihr sie jetzt ab oder was sollen wir mit ihr machen? Wie alt ist die eigentlich?«
»Genau vierzehn!«, rief Nolte, der über Lautsprecher mitgehört hatte. Er sprang auf und zog sich hastig die Lederjacke an. »Jetzt packen wir sie uns! Jetzt ist sie fällig!«
»Wir kommen«, sagte Freya und legte auf. Eine Stunde später begann Lucys Vernehmung und einen Tag später ihre Verwandlung in ein Geschöpf des Hasses und des Abscheus. Und das Land begann die Besinnung zu verlieren.
4 6. August
M anchmal wunderte er sich über die Gefühle, die sein Kollege investierte, um einem Mandanten, dem nicht zu helfen war, eine Tür zu öffnen, die es in Wahrheit nicht gab. Manchmal ärgerte sich Dr. Niklas Ronfeld auch über ihn, dessen Köderversuche meist viele Stunden in Anspruch nahmen, ohne dass es am Ende eine Einigung gab. Dabei hatte Dr. Sebastian Fischer, der Rechtsanwalt, kein besonderes Vergnügen daran, seinen ehemaligen Studienkollegen, der jetzt für die Staatsanwaltschaft München I arbeitete, in die Enge zu treiben und dessen scheinbar unerschütterliche Geduld auf die Probe zu stellen. Es kam vor, dass die beiden nach ihren Streitgesprächen tagelang auf den Fluren des Gerichts und in den Cafés, die sie besuchten, einander ignorierten. In seltenen Fällen dauerte die gegenseitige Missachtung sogar einen Monat. Allerdings hatte der Beruf sie in den vergangenen acht Jahren nie so entzweit, dass sie ihre Freundschaft vergaßen. Über die unterschiedliche Bewertung von Straftätern und Straftaten hinaus gelang es ihnen immer wieder – wenn auch gelegentlich nach geradezu mit kindlichem Jähzorn und geifernder Rechthaberei ausgetragenen Disputen außerhalb des Gerichtssaals –, ihre Person von der Funktion zu trennen und zur Vernunft zurückzukehren. Sie gingen gemeinsam essen, betranken sich oder spielten bis zur Erschöpfung Tischtennis. Letzteres taten sie
Weitere Kostenlose Bücher