German Angst
Plopp-ploppplopp. Auf einmal war Fischer von dem Geräusch genervt.
»Diese Heime sind Verwahranstalten«, sagte er unvermittelt. Setzte die Brille auf, trat auf das Pedal des blechernen Abfalleimers und warf das zusammengeknüllte Papier hinein. Ronfeld erwiderte nichts. Er hatte Angabe und wartete schon. Fischer sah zu ihm hinüber, rieb die rechte Handfläche an der Trainingshose ab und kniff die Augen zusammen. Er spielte jetzt auf der Türseite, wo es etwas heller war. Eins zu null für Ronfeld. Fischer hatte den Ball ins Netz retourniert.
»Diese Heime sind eine Strafe für die Jugendlichen, sie machen sie nur noch aggressiver.« Es schien, als würde Fischer zur grünen Tischtennisplatte sprechen. Zwei zu null.
»Das ist genau der Zweck. Strafe.« Ronfeld sah seinen Freund nicht an, bevor er den Ball über der flachen Hand hoch warf.
»Willst du die Kinderstrafe wieder einführen?«, fragte Fischer. Drei zu null.
»Dieses Mädchen ist eine Mehrfachtäterin, eine Intensivtäterin, und genau für diese Art junger Krimineller haben wir diese Heime gebaut. Spielen wir oder diskutieren wir?« Ronfeld federte in den Knien, beugte den Oberkörper nach rechts und links, taxierte seinen Gegner und machte seine Angabte. Drei zu eins. Fischer hatte genau ins Eck geschmettert. Der Ball sprang gegen die Wand und rollte in den abgeteilten Raum hinter dem Vorhang.
»Ein Platz in einem geschlossenen Heim kostet zwölftausend Mark im Monat und die Rückfallquote liegt bei neunzig Prozent. Sehr gut.« Wieder blickte Fischer in den Spiegel und wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß aus dem Gesicht. Er hatte zugenommen, das sah er an seinen Backen, wenn er nicht aufpasste, blähte sich sein Gesicht und dann fühlte er sich feist und elend. Im Gegensatz zu Ronfeld verbrachte er keinen Monat ohne Gewichtskontrollen und Diätversuche, mittags aß er nur einen Salat und abends nur ein Stück Fleisch ohne Saucen und Beilagen. Das schmeckte ihm genau einen Tag, dann hatte er keine Lust mehr und keine Zeit, sich seinem Hunger unterzuordnen. Ronfeld war größer und kräftiger als Fischer, aber sein Körper war gut proportioniert, er setzte kaum Fett an, was Fischer jedes Mal überprüfte, wenn sie sich nach dem Tischtennis umzogen und für ein paar Sekunden nackt dastanden.
Sie schwiegen. Fischers letzte Bemerkung schien Ronfeld überhört zu haben. Er machte fünf Punkte in Folge, danach verlegte er sich auf Abwehr und verschlug eine Menge Bälle, bemüht, es wie echte Fehler aussehen zu lassen. Er wollte Fischer heute nicht zu sehr demoralisieren. Beim Stand von zwanzig zu siebzehn für Fischer, legte der Rechtsanwalt den Schläger auf die Platte und hob drohend die Hand.
»Ich werd nicht erlauben, dass das Mädchen weggesperrt wird!«, sagte er, den weißen Ball in der erhobenen Faust.
»Sie hat viel Unsinn angestellt, aber da war sie noch nicht strafmündig. Niemand kann sie dafür zur Rechenschaft ziehen, das lassen wir nicht einreißen, und ich erwarte, dass du nicht anfängst, an Lucy Arano ein Exempel zu statuieren. Was du bisher dazu gesagt hast, halte ich für unverantwortlich. Und für gefährlich. Weißt du, wohin das führt, was du in diesem Fall treibst, weißt du, wohin das führt?«
»Wohin?« Ronfeld stützte die Hände in die Hüften. Er hatte die ganze Zeit mit einem Ausbruch seines Freundes gerechnet, er hatte es ihm geradezu angesehen, wie sich hinter seiner starren Miene die Worte zu einer Kavallerie formierten.
»Zur weiteren Kriminalisierung von Jugendlichen, dazu führt das! Man buchtet Vierzehnjährige nicht ein, Niklas, man muss ihnen helfen, man muss mit ihnen arbeiten, man muss dafür sorgen, dass sie Verantwortung lernen, dass sie ihre Fehler einsehen, dass sie begreifen, was ein soziales Miteinander ist…«
»Ja, wir schicken sie zu Ökowochenenden in die Toskana, das weiß ich doch, Wastl, ich hab selber schon Jugendliche in die Berge geschickt, damit sie zusammen klettern und die Flüsse runterschippern. Und was ist passiert? Sie haben sich gegenseitig beklaut oder ihre Begleiter.« Ronfeld winkte ab, dann rieb er sich die Hände. »Spiel endlich, sonst kommst du noch völlig draus und ich schlag dich noch!«
»Du nicht.« Fischer machte seine Angabe, schnitt den Ball an und trat einen Schritt nach hinten, um die garantiert geschmetterte Rückgabe zu erwarten. Er richtete sich halb auf und holte aus, da senkte sich der Ball unmittelbar hinter dem Netz, ein unerreichbarer Stoppball.
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