German Angst
trinken und ein Taschentuch, und da ist sie weggegangen und meine Freunde haben die Sachen eingesteckt. Aber ich hab nicht gemerkt, dass der blöde Chef da war, der ist aus dem Aufzug gekommen und hat sofort gecheckt, was abgeht. Er hat gerufen: Polizei!, und die anderen Verkäuferinnen sind alle losgerannt und wollten meine Freunde einfangen. Aber die waren schneller, die sind entkommen. Der blöde Chef hat ja nicht gewusst, dass ich auch dazugehör.«
»Wer war alles dabei, Yilmaz?«, fragte Ronfeld.
»Der Clan, sonst niemand.«
»Und Lucy Arano war die Anführerin.«
»Wer denn sonst?«
»Und dann haben sie dir die Schuld gegeben, dass der Diebstahl nicht richtig geklappt hat.«
»Ja. Ich hab den Chef echt nicht gesehen. Kann ich ja auch nicht, ich kann doch nicht in einen zunen Aufzug schauen. Und deswegen haben sie mich in den Keller gesperrt, aus Strafe, weil ich nicht aufgepasst hab. Ich hab schon mal was vermasselt, dafür bin ich aber nicht bestraft worden. Da war die Lucy nett und hat gesagt, so was passiert schon mal. Aber diesmal war sie total sauer und hat mich gefesselt und die Tür abgesperrt.«
»Also Lucy Arano hat dich gefesselt«, sagte Ronfeld.
»Ja.«
»Vorhin hast du gesagt, du weißt es nicht, weil deine Augen verbunden waren«, sagte Fischer.
»Ja. Ich weiß nicht genau. Kann schon sein, dass die Lucy mich gefesselt hat. Ich war die ganze Nacht in dem Keller. Ich hab einen Kreislaufkoller gehabt.«
»Warum hast du nicht laut um Hilfe geschrien?«, fragte Funkel. Er hörte diese Aussage zum ersten Mal, damals hatte niemand Anzeige erstattet. Der Staatsanwalt hatte ihn auf diesen Vorfall aufmerksam gemacht und ihn gebeten, einen Vermerk in den vorliegenden Protokollen zu machen, als weiteren Beweis für die kriminelle Energie der Vierzehnjährigen. Dieser Bitte hatte Funkel bisher nicht entsprochen, und er bezweifelte, dass er es noch tun würde.
»Sie haben mir dann auch noch eine Mütze über den Kopf gezogen«, sagte Yilmaz, blickte zum Fensterbrett, überlegte und zögerte hinzugehen.
»Was für eine Mütze?« Ronfeld machte sich eine Notiz.
»So eine Mütze aus Wolle, eine Pudelmütze.« Die Versuchung war einfach zu groß, Yilmaz riss einen zweiten Schokoriegel auf und biss gierig hinein. »Meine Hände waren an den Pfosten gefesselt und ich könnt die Mütze nicht runterziehen. Ich hab auch befürchtet, dass die andern vielleicht noch da sind und mich noch schlimmer bestrafen, wenn ich das mach. Ich hab dann trotz der Mütze geschrien, aber es hat mich niemand gehört, ich war zu leise. Ich war auch bald wieder still. Da war so ein Tropfen, von Wasser, irgendwo, und ein Scharren, wie von einer Katze, weiß nicht, ob da eine Katze war. Dann bin ich eingeschlafen, und als ich aufgewacht bin, bin ich so erschrocken, dass ich einen Kreislaufkollaps gekriegt hab, ich bin ohnmächtig geworden.«
»Und du lagst da unten, bis dich die Frau aus dem Haus entdeckt hat«, sagte Ronfeld und sah Fischer an, der die Hände vor dem Gesicht gefaltet hatte und sich an einen anderen Ort wünschte.
»Ja, die hat ihre Katze gesucht und mich gefunden.« Yilmaz schmatzte und leckte sich die Lippen. »Sie hat gleich einen Arzt geholt und der hat mich untersucht. Ich war unterkühlt, hat er gesagt, ich hab mich ins Bett legen müssen. Und ich hab nicht in die Schule gemusst.«
»Warum haben deine Eltern keine Anzeige erstattet?«, fragte Ronfeld.
»Mein Vater hat gesagt, wir haben noch nie was mit der Polizei zu tun gehabt. Außerdem war ich ja in dem Laden mit dabei, ich bin ja auch schuld.«
»Du bist nicht schuld, Yilmaz«, sagte Ronfeld. »Deine Freundin Lucy Arano ist schuld, sie hat dich gefesselt und im Keller eingesperrt.«
»Ja«, sagte Yilmaz und griff nach dem Handcomputer.
»Aber wenn ich den Chef in dem Laden rechtzeitig gesehen hätte, wär alles gut gegangen. Wie sonst auch. Ich mag die Lucy, die hat keine Angst, vor niemand, die traut sich echt was. Es ist toll, wenn man zu der dazugehören darf, das sagen die andern auch. Das ist doch total ätzend bei uns auf der Schule, aber die Lucy macht was los, die lässt sich nicht einschüchtern, das sagt jeder, wer zu der gehört, der hats geschafft, vor der haben die andern Respekt, und Respekt ist wichtig, wenn du keinen Respekt von den andern kriegst, hast du verloren. Ich hab nix gegen die Lucy, ich werd sie im Knast besuchen und ihr was mitbringen, vielleicht einen Himbeerkuchen, den mag sie nämlich, das weiß ich von Jimmy,
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