German Angst
die psychiatrischen Gutachten, die noch ausstehen, werden deiner Mandantin auch nicht helfen, die Psychiater werden zu keinem anderen Ergebnis kommen als die Psychologen und die Sozialpädagogen: Das Mädchen besitzt ein zerstörerisches Aggressionspotential und solange es niemanden gibt, der ihr rigoros Grenzen setzt, wird sie so weitermachen wie bisher. Und jetzt hab ichs eilig, ich muss Sibylle vom Arzt abholen.«
»Dieses Mädchen wegzusperren, um es zu bestrafen, ist fahrlässig und dumm, Niklas.«
»Dumm? Du nennst mich dumm?« Ronfeld warf sich seine blaue Windjacke um die Schultern und sah Fischer wütend an. »Dieses Mädchen genießt ihre Aggressionen in vollen Zügen und die anderen zittern vor ihr. Sie hat fünf Buben aus ihrer Schule abgerichtet wie Hunde, und sie hat sie geschlagen und gequält, wenn sie Lust dazu hatte. Wenn sie Lust dazu hatte!«, brüllte er. »Fünf Buben, und drei von ihnen sind in psychiatrischer Behandlung wegen ihr.«
»Sie sind wegen ihrer Drogensucht in psychiatrischer Behandlung«, sagte Fischer.
»Nein!« Ronfelds Stimme donnerte durch den niedrigen Raum. »Sie hat sie abhängig gemacht! Sie hat sie benutzt, kaltblütig benutzt für ihre Überfälle und Raubzüge! So jemanden kann man nur wegsperren!« Er stellte sich gebückt vor den Spiegel über dem Waschbecken und kämmte sich. Für Sebastian Fischer gehörte sein Freund mehr und mehr zur Fraktion der blinden Jäger, die immer stärker wurde in dieser Stadt. Die Zeitungen waren voll von ihren Verlautbarungen. Und die Zeugen, die Fischer bisher kennen gelernt hatte, beschrieben Lucy als Mädchen, das wie ein schwarzer Geist über sie gekommen sei, dem man entweder folgte oder von dem man aus Gründen, die niemand begriff, grausam bestraft wurde.
»Die ist cool, die Braut«, sagte Enno, der von allen Jupiter genannt wurde. »Ich mein, verstehen Sie, die ist auch krass, weil sie hat ihre Meinung und das wars dann, da führt nix dran vorbei, alles klar? Entweder so oder gar nicht. Hey, ich war dabei, als sie den Zigarettenautomaten geknackt hat, ich gebs zu, ich habs auch bei den Bullen zugegeben, ich lass die Lucy nicht hängen, so was mach ich nicht, klar?«
Sie saßen in einem Café am Harras, Jupiter, Kenny und Max, der erst dreizehn war, ein Jahr jünger als seine beiden Freunde, sowie Ronfeld, Fischer und Funkel, der darauf bestanden hatte, dabei zu sein. Die drei Jugendlichen gehörten zum Clan, wie sie sagten, sie waren so etwas wie Lucys Garde.
»Das ist, wenn du da bist, sobald sie dich braucht«, erklärte Kenny. »Sie schaut dich an und du weißt Bescheid.«
»Yes«, sagte Max.
»Und Lucy Arano hat euch zu allen möglichen Taten angestiftet«, sagte Ronfeld und bemühte sich, deutlich ins Mikrofon zu sprechen, das er wie immer auf dem Tisch platziert hatte.
»Was genau habt ihr angestellt?«
»Unterhaltung«, sagte Kenny und zündete sich eine Zigarette an.
»Yes«, sagte Max.
Beide trugen weite Jeans, schlabbernde Sweatshirts und Nike-Schuhe. Im Wettbewerb der lässigsten Schüler Deutschlands wären sie unter den ersten fünf gelandet. Kenny hing im Stuhl und rauchte, Jupiter hing im Stuhl und ließ die Arme baumeln und Max hing im Stuhl und lernte vielleicht im Stillen Englisch.
»Was bedeutet das, Unterhaltung?«, fragte Ronfeld.
»Unterhaltung halt«, sagte Kenny, die Zigarette im Mundwinkel. »Du gehst mal da hin und mal da, redest mitn paar Leuten, lässt dich von der guten Stimmung anstecken, da n Nikotin und da n Bier, hebt die Stimmung, das ist Unterhaltung, und dann mal raus und was machen, von irgendwas muss man leben, oder?«
»Du meinst, ihr habt euch Geld besorgt«, sagte Ronfeld.
»Yes«, sagte Max.
»Halt die Klappe!«, sagte Jupiter.
»Wo habt ihr euch Geld besorgt? Und wer hatte die Idee?«
»Die Idee? Was für eine Idee, Mann?« Es sah aus, als würde Jupiter jeden Moment vom Stuhl und unter den Tisch rutschen, seine Hände streiften beinah den Boden.
»Ideen! Diese Automaten hängen überall, da brauchst du keine Ideen zu, Mann!«
»Und Lucy Arano hat die Automaten geknackt.« Ronfeld warf Funkel einen Blick zu und der Kriminaloberrat kratzte sich an der schwarzen Klappe über seinem linken Auge.
»Einer muss es machen«, sagte Jupiter.
»Das ist alles über ein Jahr her«, sagte Kenny. »Wir machen das nicht mehr, ehrlich, wir sind jetzt vierzehn, da geht das nicht mehr so einfach, ist doch logisch. Mir reicht die Schule, ich muss nicht auch noch in den
Weitere Kostenlose Bücher