German Angst
genommen, logisch, aber halt nur gerade so. Dass es reichte, um T-Shirts zu verkaufen und Socken und fertig verpackte Hemden. Deppenjob. Dafür reichte es. Er war wirklich kurz davor gewesen, reinzugehen und ihr dabei zuzuschauen, wenn sie ihren Deppenjob erledigte. Dann war ein Typ vorbeigekommen, der erst mal ein Problem kriegte, weil er zu nah an ihm vorbeiging, und der kapierte das nicht mal. Er schrie ihm was ins Gesicht und der andere verpisste sich schleunigst. Der Edelstoff brachte wieder Ruhe ins Geschehen.
Jetzt stand er in der U-Bahn und grunzte vor sich hin. Am anderen Ende des Waggons saß sie und merkte nichts. Heute war die Nacht. Und sie gefiel ihm, sie gefiel ihm sehr, obwohl sie Türkin war. Und obwohl sie ein Kopftuch aufhat und diesen arschöden Mantel anhat, der aussieht wie von meiner Oma. Wieso lässt du dir das gefallen, Mädchen, du bist hier nicht in Anatolien, du kannst dich wehren, wehr dich, trau dich was!
Wie gewohnt stieg sie an der Haltestelle Schwanthaler Höhe aus und bog dann links in die Kazmairstraße ein. Sie wohnte in der Gollierstraße, Lechner kannte das Haus, unten war ein Gemüseladen und nicht weit entfernt eine Kirche. An den anderen vier Abenden war er, nachdem er sie, wie er es nannte, wohlbehalten nach Hause begleitet hatte, bei Ilse eingekehrt, die in der Gollierstraße eine winzige Kneipe betrieb. Am Tresen trank er einige Biere, die ihm nicht schmeckten, weil es kein Edelstoff war, aber durch das Fenster hatte er einen guten Blick auf das Haus, in dem Nuriye wohnte. Im Grunde hatte er nicht vor, sich lange bei der Vorrede aufzuhalten. Jeden Abend bei Ilse hatte er sich das gedacht, da war dieser kleine Platz, ein paar Bäume, eine Wiese, sehr lauschig, eine Hecke, sehr praktisch. Er hatte alles dabei, was er brauchte, Taschentuch zum Knebeln, Schnur, das ging ratzfatz, er sah alles genau vor sich, kein Problem. »Kein Problem«, hatte er zu Ilse gesagt und sie hatte einen weiteren Strich auf seinen Deckel gemacht, was ihn ärgerte. Denkst du, ich prell die Zeche, oder was, spinnst du, oder was? In diesem Scheißladen war er zum letzten Mal gewesen! Oder war das verdächtig? Wenn er plötzlich nicht mehr auftauchte? Sind doch lauter blinde Säufer da, die kriegen eh nichts mit, die haben doch schon vergessen, wie sie heißen, außerdem…
Hatte sie sich gerade nach ihm umgedreht? Blödsinn! Seine Schuhe machten zu viel Lärm, fiel ihm auf, er musste vorsichtiger auftreten, so, ja, so war es besser. Ihr Kopftuch war nicht zu übersehen. Eilig hatte sie es nicht. Die will was erleben, das merk ich doch, die will nicht nach Hause, die will noch was haben von der Nacht. Jetzt blieb sie sogar stehen. Lechner versteckte sich in einem Eingang. Was macht die da, was gibts da zu glotzen? Dann hörte er ihre Schritte und streckte den Kopf vor. Nuriye näherte sich dem kleinen Platz mit der Hecke. Als er an einer Schneiderei vorbeikam, warf Lechner einen kurzen Blick ins Schaufenster. Was war das? War sie das? War das seine Sockenlady? Ja, das war sie, sie stand da mit einem weißen Kleid und einem weißen Kopftuch. Auf einem Foto. Mitten im Fenster. Wahrscheinlich war das der Laden ihres Vaters. Lechner kannte sich aus: Im Westend wohnten praktisch nur Türken. Und Griechen und Jugos. Aber vor allem Türken.
Verdammt, wo war sie? Lechner ging schneller, die Schuhe klackten auf dem Pflaster, er hatte keine Zeit, sich darum zu kümmern, wo war die Kleine? Er sah sie nicht, das war doch nicht möglich. Ich bin doch nicht besoffen, Scheiße, wo ist die Schlampe?
Niemand war unterwegs, keine Schritte waren zu hören. Es war fast neun und immer noch nicht ganz dunkel, macht nichts. Der Platz ist ideal, da ist niemand um diese Zeit, an keinem der vier Abende ist da jemand gewesen, der unsre Idylle gestört hätte. Er hatte alles ausgekundschaftet. Sie wären ganz allein. Und jetzt war sie verschwunden. Ein Auto kam näher, die Scheinwerfer blendeten ihn und er musste sich wegdrehen. Verpiss dich, Wichser! Das Auto fuhr weiter und Lechner hielt wieder Ausschau. Speichel tropfte ihm aus dem Mund, er merkte es nicht, genauso wenig wie seine geballte Faust und die Flüche, die er ausstieß. Ununterbrochen spuckte er auf den Boden.
Und dann traute er seinen Augen nicht. Auf einer Bank am Rand des kleinen Parks saß Nuriye und aß irgendetwas. Sie saß mit dem Rücken zu ihm. Aber ich seh genau, was du machst, du beißt von was ab, wahrscheinlich von einem Scheißdöner.
Bemüht, die
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