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German Angst

German Angst

Titel: German Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Füße zu heben, schlich er sich an sie heran. Er hörte ein Knacken. Die Kleine mampft einen Apfel, Vitamine, sehr gesund! Er sog den Speichel ein. Die Schnur hatte er griffbereit und der Handkantenschlag würde nicht einmal eine Sekunde dauern. Das Taschentuch hatte er nur zur Sicherheit parat, für den Fall, sie jauchzte aus Versehen, praktisch – wie Lechner sich das vorstellte – aus der Bewusstlosigkeit heraus. Alles andere war kein Problem. Eine Türkin hatte er noch nie gehabt, eine Griechin, ja, eine Inderin, eine Chinesin oder Koreanerin, Yim hieß die, oder Sim, ihr Name fiel ihm im Moment nicht ein, und das war auch ganz egal, denn jetzt saß Nuriye vor ihm und sie aß einen Apfel und er holte aus. Und dann passierte irgendetwas mit seinem Arm, gerade war dieser noch über seinem Kopf, da wurde er nach vorn gezogen, heftig nach vorn, in waagrechter Richtung, und dann spürte Lechner seine Beine nicht mehr. Irgendetwas passierte mit seinen Beinen, sie verloren den Boden unter den Füßen. Wieso das?, dachte er vage, und dann war die Bank unter ihm, die graue Holzbank. Wie kam die Bank da hin, quer unter ihn, er sah die schiefe Lehne, die gebogenen Bretter der Sitzfläche und gelbe Blumen in den Zwischenräumen, und er hatte ein ekelhaftes Gefühl im Magen, der ganze Edelstoff schwappte in ihm und brodelte. Er hatte keine Ahnung, wo er sich jetzt befand und wie er da hingekommen und was überhaupt geschehen war in den letzten drei Sekunden. Er dachte und dachte und überschlug sich im Denken wie im Fallen. Wie lange das dauerte, bis etwas Neues passierte, etwas, das er endlich wieder verstand. Und dann landete er hart auf dem Rücken im Gras. Und irgendetwas krachte auf seine Nase. Und er keuchte, aber er war sich nicht sicher, ob er überhaupt noch Luft bekam.
    Kurios verkrümmt lag er in der Wiese und röchelte und blutete im Gesicht und würgte. Es war ihm unmöglich zu verstehen, was geschehen war. Immer heftiger musste er würgen und dann konnte er sich nicht mehr beherrschen. Wie ein Sturzbach kam das Bier aus ihm heraus und ergoss sich über seine Jacke, seine Hose, seine Schuhe und seine Hände, die er nicht bewegen konnte. Er hustete mit weit aufgerissenem Mund und drehte den Kopf und sein Gesicht tauchte in eine stinkende Pfütze aus Erbrochenem. Sofort schreckte er in die Höhe und da traf ihn ein Schlag an der Backe, ein Tritt, das realisierte er in all seiner rauschhaften karusselligen Verwirrung, ein Schuh, die Sohle eines Schuhs.
    »Bleib liegen oder ich steig dir in die Augen!«, schrie Nuriye ihn an, und er erkannte ihr Gesicht. Was hatte sie getan? Wieso…
    »Mein Bruder ist Polizist, der macht dich fertig«, sagte sie, »mehr als ich. Hast du gedacht, ich seh dich nicht? Ich geh ins Training zweimal die Woche, diese Woche hab ich eine Knieverletzung, deswegen bin nicht gegangen nach der Arbeit. Du bist mein Training. Willst du noch mal? Das nächste Mal hol ich meinen Bruder, der trainiert auch gerne, und dann gehts dir schlecht. Noch schlechter als jetzt, ich schwöre. Verschwinde! Steh auf und hau ab oder ich hol Polizei!«
    Sie schob ihr Kopftuch aus der Stirn und strich sich den Mantel glatt. Nichts an ihr verriet, dass sie soeben einen Fünfundachtzig-Kilo-Mann durch die Luft geschleudert und ihm zweimal ins Gesicht getreten hatte.
    Als sie merkte, dass Lechner es nicht schaffte aufzustehen, drehte sie sich um und ging weg. Sie hörte ihn husten und rülpsen und jammern, und sie war Sülo dankbar, dass er sie überredet hatte, mit ihm zum Sport zu gehen und kämpfen zu lernen.
    Zu Hause erzählte sie nichts von ihrem Erlebnis und obwohl sie schlauer als der Mann gewesen und zufrieden mit sich war, hatte sie Angst, er könne wiederkommen und seine Freunde mitbringen.
    Seit ihrem vierten Lebensjahr lebte Nuriye in dieser Stadt und sie hatte nie viel darüber nachgedacht, dass sie keine Deutsche war. In letzter Zeit aber hörte sie manchmal Bemerkungen, die sie erschreckten, und im Geschäft fragten sie Kundinnen, die sie kannten, ob sie denn nicht bald heirate und in ihre Heimat zurückkehre. Darauf erwiderte sie, ihre Heimat sei das Westend, und dann lachten die Frauen, aber Nuriye sah, ihr Herz lachte nicht mit. Etwas war geschehen und sie sprach mit ihrem Bruder Sülo darüber, und der meinte, sie sehe Gespenster, Spinner gebe es überall. Doch Nuriye glaubte nicht an Spinner, die Blicke, die sie wahrnahm, die Gesten und Kopfbewegungen, die Gespräche in der U-Bahn, die

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