German Angst
fünfzig, der sich auf einen Stock stützte. Er nannte seinen Namen, Reling, und sagte, ihm sei nichts aufgefallen. Übrigens verstehe er die Diskussionen um die Tochter des Freundes von Frau Horn nicht.
»Ein Blick ins Gesetzbuch genügt doch«, sagte er und hielt sich an der Metallbrüstung fest. »Da steht alles drin, was getan werden kann. Wenn man was tun will. Sie wissen ja, dass das Gesetz grundsätzlich von Hilfe zur Selbsthilfe ausgeht, aber bei Gefahr für Leib und Leben ist ausdrücklich von einer Inobhutnahme die Rede. Das ist der Paragraph zweiundvierzig, Absatz drei, Kinder und Jugendhilfegesetz. Erst heute hab ich wieder in der Zeitung gelesen, dass der Anwalt dieses Mädchens eine geschlossene Unterbringung kategorisch ablehnt. Das ist falsch. Hilfe zur Selbsthilfe bedeutet nicht, dass man den Täter oder dessen Anwalt entscheiden lässt, was zu tun ist, da ist der Gesetzgeber gefragt. Dieses Mädchen ist gefährlich und wenn man es in ein geschlossenes Heim bringt, dann ist das schlichtweg ein Akt der Jugendhilfe. Damit wir uns richtig verstehen, es spielt keine Rolle, ob es sich um einen deutschen oder einen ausländischen Jugendlichen handelt, das ist kein Unterschied, und ich seh das auch nicht so. Aber dieses Mädchen muss lernen, Regeln zu befolgen, und wenn ihr Vater ihr das nicht beibringen kann, dann muss es jemand anderer tun.«
»Ja«, sagte Süden.
Offenbar hatte niemand in der Gutenbergstraße eine verdächtige Beobachtung gemacht.
»Und wenn es so ist wie damals?«, fragte Sonja.
»Glaub ich nicht«, sagte Süden, der ihr von Melanies Aussage erzählt hatte.
Für die Frau mit den gelben Haushaltshandschuhen, die die Tür nur zur Hälfte öffnete, stand fest, dass die Beziehung zwischen Arano und Natalia Horn sowieso nicht mehr lange gut gehen würde. »Die bindet sich doch diese kleine Kriminelle nicht ans Bein, so blöd ist die nicht, ich kenn die Frau Horn, ich find den Schwarzen auch nicht übel, also jetzt vom Sehen her, aber diese Tochter von dem… Tut mir Leid, wir haben heute eine komplett neue Wohnzimmereinrichtung gekriegt, das sieht aus bei uns…«
»Wann wurde die Einrichtung geliefert?«, fragte Sonja.
»Gegen neun, wieso?«
»Waren Sie da auf der Straße, haben Sie vielleicht ein Auto gesehen, das sonst nicht hier ist, das ist ja keine stark befahrene Straße.«
»Ich hab wirklich keine Zeit gehabt, in der Gegend rumzuschauen.«
Sie versprach, noch einmal nachzudenken, ebenso wie der Mann aus Nummer zwölf, der sagte, er sei bis nach der Sonnenfinsternis zu Hause geblieben, da ihm dieser ganze Wirbel seit Monaten auf den Wecker gehe. »Ich hab die Rollos runtergelassen und Bach gehört, Wilhelm Friedemann, den Tragischen, ich gehöre zu den Bewunderern seiner Klavierfantasien, die gelten allgemein nicht so viel wie seine Klaviersonaten, aber was wissen die Leute schon? Die plappern eh immer alles nach, Sie werden damit Erfahrung haben. Gegen zwei bin ich aus dem Haus und vor zirka einer Stunde wiedergekommen. Ich war im Botanischen Garten, ich entspanne mich beim Duft der Gewächse dort. Großartig. Und es ist für unsereinen immer wieder unfassbar, dass diese so genannten Kannenpflanzen Insekten fangen und verdauen. Wussten Sie das? Diese Pflanzen besitzen einen Organismus, der ihnen das Verdauen ermöglicht. Nein, an dem Haus von der Frau Horn ist mir nichts weiter aufgefallen. Den Schwarzen seh ich manchmal reingehen, auch seine Tochter, die sind ja beide gut bekannt mit der Frau Horn, ich kenn sie nicht näher. Aber ich muss Ihnen sagen, ich finde es empörend und einen vollen Schlag ins Gesicht eines jeden anständigen Bürgers, dass man mit diesem Mädchen so lange so zimperlich umgesprungen ist. Auch die Polizei. Verzeihen Sie! Dieses Mädchen hat achtundsechzig Straftaten begangen und wahrscheinlich ist die Dunkelziffer noch viel höher. Und was tut die? Sie lacht uns ins Gesicht, uns, den inländischen und auch den ausländischen anständigen Bürgern, die lacht dem deutschen Staat eiskalt ins Gesicht. Was hab ich heut in der Zeitung gelesen, oder wars gestern? Sie sagt, sie hat sich nur gewehrt, weil sie angegriffen wurde wegen ihrer Hautfarbe. Da lach ich ja! Da schlägert sich dieses Mädchen quer durch die Stadt, überfällt alte Leute auf der Straße, oder stimmt das nicht, das mit der alten Frau am Ostfriedhof, die sie mit einem Messer bedroht und niedergeschlagen hat…«
»Das stimmt zum Teil«, sagte Süden.
»Sehen Sie! Sie nehmen sie in
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