German Angst
Schutz. Obwohl Sie Polizist sind. Obwohl Sie zu größtmöglicher Objektivität verpflichtet wären. Ich kenne Sie nicht, aber wenn es schon so weit ist, dass die Polizei vor so einem kleinen kriminellen Ding kuscht, dann…«
Auf der Straße gingen Sonja und Süden schweigend nebeneinander her, bevor sie vor dem Haus an der Ecke Tizianstraße stehen blieben. In der vergangenen Stunde hatten sie elf Personen befragt mit dem Resultat, dass Natalia Horn möglicherweise allen Grund gehabt hatte zu verschwinden, um sich endlich von ihrem schwarzen Freund und dessen schwer krimineller Tochter zu befreien.
»Alles wie immer«, sagte Sonja. »Lauter Nachbarn, die alles wissen und nichts sehen.«
»Es war dunkel«, sagte Süden und berührte im Vorbeigehen ihre Hand, »es war Sonnenfinsternis.«
»Mir ist kalt«, sagte Sonja.
Anders als die meisten Einwohner der Stadt hatte sie heute Mittag lediglich aus dem Fenster gesehen anstatt mit ihren Kollegen zu einem der vielen Aussichtspunkte zu pilgern, um in der Menge das Spektakel mitzuerleben. Süden war bei ihr geblieben, er hatte ihr eine Solarbrille geschenkt und gemeinsam schauten sie hinauf in den bewölkten Himmel. Es regnete in Strömen, als es dunkel wurde, und von der verschatteten Sonne war, zumindest vom Dezernatsgebäude aus, nichts zu sehen. Hinterher erfuhren sie, dass es an bestimmten Plätzen in der Stadt nicht geregnet und man dort einen freien Blick auf die flammende Korona gehabt hatte.
»Wir sind dauernd im Regen gestanden, aber es war trotzdem supertoll«, sagte das blonde Mädchen an der Tür. Ihre Mutter nahm sie in den Arm.
»Ja, das war schon eine besondere Stimmung. Ich möcht noch was sagen, was die Tochter von Herrn Arano angeht, ich weiß, Ihnen gehts nur um Natalia, und ich kann Ihnen da leider nicht helfen, weil mir nichts Besonderes aufgefallen ist, aber…«
»Ist schon in Ordnung«, sagte Sonja. Sie fror immer mehr und brauchte dringend einen heißen Tee.
»Nein«, sagte die junge Frau, »warten Sie bitte! Ich find nämlich, dass das unmöglich ist, was da geschrieben wird und wie die Leute über das Mädchen reden. Ich geh öfter mal zu Frau Horn zum Peeling und wir unterhalten uns über alles Mögliche. Ich weiß, dass Lucy ihr große Sorgen bereitet und dass sie dauernd überlegt, wie sie ihr helfen kann. Ich find diese Hetzkampagnen widerlich, vor allem, weil Lucy eine Schwarze ist. Die wird jetzt diffamiert und ausgegrenzt und dabei müsste sich die Stadt endlich mal was einfallen lassen, um zu verhindern, dass die Jugendlichen überhaupt kriminell werden. Ich glaub nämlich nicht, dass das nur eine Sache des Elternhauses ist, da spielen die Schulen eine Rolle und die Gesellschaft, wir sind alle für unsere Kinder verantwortlich, so seh ich das, und wenn sie dann was angestellt haben und man sperrt sie weg, dann nutzt das gar nichts. Das ist wie mit der Todesstrafe in Amerika, gibts deswegen weniger Verbrechen und Morde? Mir tut die Lucy Leid, ihre Mutter ist tot und ihr Vater hat viel zu tun, das weiß ich von Frau Horn, der arbeitet sich auf für seine Tochter…«
»Du, Mama?« Das Mädchen sah zu ihr hoch. »Ich hab ein Auto gesehen, das ist da vor der Tür von der Netty gestanden.«
»Was für ein Auto, Maja?«
»Ein rotes. Das ist da gestanden und dann wars wieder weg.«
»Wann hast du das Auto gesehen?«, fragte Sonja.
»Weiß nicht… Wann sind wir in den Englischen Garten gefahren, Mama?«
»Gegen halb zwölf.«
»Dann kurz davor.«
»Hast du jemanden gesehen?«, fragte Süden und machte sich Notizen in seinen Block.
»Nö«, sagte Maja. »Nur das Auto, das ist vor der Tür gestanden.«
»Vor der Gartentür?«, fragte Sonja.
»Nö, vor der Haustür. Das Auto ist im Garten gestanden, wie das von der Gärtnerei, das fährt da auch immer rein, weil die laden dann Äste auf und so.«
»Das rote Auto stand direkt vor der Haustür?«, fragte Süden.
»Bist du sicher?«, sagte Majas Mutter.
»Ich habs gesehen, ich hab gedacht, dass der Gärtner vielleicht jetzt ein rotes Auto hat, weil das grüne ihm zu langweilig ist.«
»Kannst du das Auto beschreiben?«, fragte Süden. Maja schüttelte den Kopf. »Ich bin mit dem Fahrrad vorbeigefahren, mit der Eva, die ist auch mit uns im Englischen Garten gewesen.«
»Hat die Eva das Auto auch gesehen?«, fragte Sonja.
»Weiß nicht.«
Anscheinend hatte Eva es nicht bemerkt.
»Wir haben mit diesen Leuten nichts zu tun«, sagte ihre Mutter schroff, »glauben Sie ja nicht,
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