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German Angst

German Angst

Titel: German Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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würde ihre Wunden verbinden. Ihr Stecher, so nannte er ihren Geliebten, mit dem sie jetzt verlobt war, was niemand wusste. Sie dachte an Chris und seine Sanftmut, seine Geduld und die große Ruhe, die von ihm ausging, obwohl er ein Kriegskind war und tausende Tote gesehen hatte, tausend verstümmelte Leichen, tausend Kadaver, Tiere und Menschen. Nach all den Männern, die sie gekannt hatte, mit denen sie zusammen gewesen war, die sie umworben hatten und die sie selbst umworben hatte, nach all den Jahren voller Verlangen und Hingabe, Enttäuschungen und Erwartungen war er aufgetaucht, fünfzehn Jahre jünger und schwarz, Witwer mit einer Tochter, die Schlagzeilen machte. Und es hatte nicht einmal zwei Monate gedauert, da wusste sie, er war die Liebe, die sie gesucht und nicht mehr erwartet hatte, er war der erwünschteste Gast in ihrem Leben. Und dass er geblieben war, erregte sie manchmal morgens wie ein verwegener vergangener Traum.
    »Mon amour«, sagte sie zu ihm, denn das hatte sie noch zu keinem Mann gesagt.
    Lucy fiel ihr ein, die man ins Gefängnis gesteckt hatte, und sie wünschte, sie könne bei ihr sein und sie trösten. Was geschah mit ihnen, mit ihr, mit Lucy, mit Chris, was hatten sie getan, dass man sie so behandelte?
    Im rasenden Auto wurde sie immer heftiger geschüttelt, sie rollte nach links und nach rechts, ihr wurde schwindlig, sie atmete hektisch und spürte wieder das Taschentuch, das ihren Mund ausfüllte. Sie schnaubte durch die Nase, sie versuchte nichts zu denken, nur dazuliegen, sich schaukeln zu lassen, ja, schaukeln. Ich lass mich schaukeln, hin und her, hin und her.
    Doch dann bremste der Wagen abrupt ab und sie wurde mit dem Kopf gegen Metall geschleudert. Der Schmerz war furchtbar, aber schreien konnte sie nicht. In ihrem Kopf hämmerte und klopfte es und sie prustete und röchelte. Dass das Auto stehen geblieben war, merkte sie erst, als der Kofferraum geöffnet wurde. Die Luft roch wunderbar und sie hob sofort den Kopf und glaubte die Sonne zu spüren.
    »Du stinkst«, sagte der Mann.
    Dann packte er sie und trug sie durch die wunderbare Luft. Ihre Beine schleiften über den Boden, und sie hörte Kies, knirschenden sommertrockenen Kies, und da waren Vögel und Grillen und es duftete nach Blumen. Alles, dachte sie, bevor ihre Füße gegen eine Schwelle stießen, was sie mehr erschreckte als schmerzte, alles tu ich, damit dir nichts geschieht, mon amour.
    Sie wurde auf ein Bett geworfen. Der Mann riss ihr das Klebeband von den Augen. In der ersten Sekunde glaubte sie, er würde ihr die Kopfhaut mit abreißen, dieser Schmerz war grässlich. Doch dann öffnete sie behutsam die Augen. Nichts passierte.
    Sie machte die Augen auf, so weit sie konnte. Um sie herum war es dunkel. Sie lag in einem fensterlosen Raum, geknebelt und an Händen und Füßen gefesselt. Aber dass sie wieder etwas sehen konnte, und wenn es nur Schemen waren, machte sie froh. In diesem Moment war für sie schauen wie essen. Und gierig verschlang sie die Finsternis. Und dann ging tatsächlich eine Tür auf und Licht fiel herein.
    Kaffeeduft durchzog den Besprechungsraum im zweiten Stock des Dezernats 11. Durch die schlecht isolierten Fenster drang Straßenlärm herein und nebenan klingelte ständig das Telefon. Kriminaloberrat Karl Funkel leitete die Sitzung, an der neben Volker Thon, Tabor Süden und Paul Weber auch die beiden jungen Oberkommissare Freya Epp und Florian Nolte teilnahmen. Alle fünf Minuten kam Erika Haberl, die Sekretärin in der Vermisstenstelle, herein und brachte Thon ein neues Fax. Die Stimmung war angespannt. Nach Südens Bericht über die Aktivitäten der vergangenen Nacht überflog jeder erst einmal die getippten Protokolle der Aussagen von Christoph Arano und Melanie Graf und strich sich bestimmte Stellen mit einem gelben Markierstift an. Die Mappen zum Stand der Ermittlungen im Fall der verschwundenen Hoteldirektorin Katharina Wagner lagen ebenfalls auf dem Tisch. Funkel kratzte sich an der Oberkante seiner Augenklappe und blickte in die Runde.
    »Wer fängt an?«, fragte er.
    »Auf keinen Fall Fahndung über die Presse«, sagte Thon. »Wir wissen noch zu wenig über Natalia Horn und was wir wissen, ist undurchsichtig.«
    »Wieso?«, fragte Süden.
    »Sie ist schon einmal abgehauen, sie hat im Milieu gearbeitet, sie verschweigt ihrem Zukünftigen eine Menge, wer weiß, was sie diesmal ausgeheckt hat. Für weitere Schritte ist es viel zu früh. Wir kümmern uns vordringlich um unsere anderen

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