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German für Deutsche

German für Deutsche

Titel: German für Deutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Wueller
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spielerischer Sprachkritik: durch die Wiederbelebung alter Wörter Konkurrenz zu manchen Monokulturen aufzubauen.
    Und genau besehen ist es schon zu spät, wenn ein Sprachkritiker räsoniert, da wäre mal wieder eine anglizistische Doublette unterwegs. Genau dann hat Sprache schon ihr Spiel der Unterscheidungen gespielt: Die vermeintlichen Doubletten sind auseinandergedriftet, haben sich mit unterschiedlichen semantischen Kontexten vollgesogen.
    So auch bei » Pipeline« und » Rohrleitung«. Die Pipeline ist bei uns eine sehr spezielle, eben eine Öl-Rohrleitung. Aber das muss im Deutschen nicht gesagt sein. » Pipeline« allein signalisiert bereits eindeutig den Kontext; anders als im Englischen, wo schon das unübliche oil line oder oil tube genutzt sein muss, um das Lager eindeutig abzustecken. » Rohrleitung« dagegen ist den Reservaten des Klempners, Architekten und Tiefbauingenieurs vorbehalten. In einem deutschen Text ist daher eine Rohrleitung auf einer Bohrinsel niemals die Ölleitung, allenfalls gehört sie zur Klospülung. Und die Wendung » etwas in der Pipeline haben« bringt in der Übersetzung » etwas im Rohr haben« arge Missverständnisse mit sich; das gibt es schon im vulgär-erotischen Lager der Mario-Barth-Lustigkeiten. Nun steht aber auch » etwas in der Pipeline haben« auf der Schwarzen Liste der Sprachdoctores.
    » Doctores« ist die lateinische Pluralform von » Doktor«. Sie erinnert an Zeiten, als das Lateinische die Verständigungssprache (lat. lingua franca ) der gebildeten globalen Bildungsschicht war. Dahin sollten wir nicht zurückwollen. Das austrocknende Gelände liefert bei entspannten Spaziergängen aber ertragreiche Wortfunde.
    Also auch hierzu eine Bemerkung …
    Im Rohr oder auf Lager haben?
    Klare Sache: Wer sagt, er habe » etwas in der Pipeline«, nutzt einen Anglizismus. Sprachwächter schlagen vor, man solle stattdessen » auf Lager haben« sagen. Ersetzt das eine das andere? Spüren Sie den Unterschied? (Noch mal lesen.) Genau. Auf Lager hat der Händler. Die Ware kommt rein und wartet auf den Weiterverkauf. Was in der Pipeline ist, steht aber nicht einfach rum und wartet. Es steht unter Druck. Im Englischen hat ein Anwalt cases in the pipeline ( » Fälle in der Pipeline«), ein Unternehmen talented employees in the pipeline, also Angestellte, die nach oben wollen. Und ein Unternehmen high potential products in the pipeline, also Produkte mit Gewinnerwartungen, die nur noch auf Genehmigungen warten, um den Markt zu erobern. » In der Pipeline« haben bezeichnet also moderne, beschleunigte Arbeits- und Produktionsbedingungen viel besser als » auf Lager haben«. Daher: Beides sollte uns erhalten bleiben. Bleibt es auch; die frommen Wünsche der differenzierungsscheuen Sprachkritiker erfüllen sich eh nicht.
    Netze oder Netzwerke?
    Das Internet hat uns » Web« und » Network« als halbfrische Anglizismen beschert. Beide englischen Wörter haben im Deutschen die Bedeutung » Netz«. Wobei web im Englischen eher Gewebe, Gespinst und Faser assoziiert (dt. » weben« und engl. web haben gemeinsame Wurzeln). Und net eher das Netz, geknüpft durch Spinnen oder menschliche Kunstfertigkeit (griech. techné ), meint.
    Wie übersetzt der deutsche Journalist nun das englische network? Als » Netz« oder » Netzwerk«? Man muss es zugeben: Oftmals rutscht ihm das » Netzwerk« raus. Und das wird nun beklagt. Von wem? Naturgemäß von Sprachwächtern wie Wolf Schneider (aber der hat auch Informanten, zum Beispiel beim » Verein deutscher Sprache«).
    Nun wird behauptet, der Deutsche kenne zwar » Netzwerk«, » aber nur in der Bedeutung netzartig verbundene Leitungen« (Schneider). Wenn allerorten von » Netzwerken« geschrieben werde, sei das dem Englischen » nachgeäfft«. Warum der deutsche Journalismus so bildungsfern daherstolpern muss, wurde mir klar, als ich dies las. Seit bald 50 Jahren lernt der hiesige Nachwuchs beim Herrn Schneider. Also zur Nachhilfe:
    Das Grimmsche Wörterbuch fand bei Christoph Martin Wieland (1733 bis 1813) » ein violetfarbnes Leibchen mit schmalem goldnem Netzwerk besetzt« oder bei Gustav Freytag (1816–1895) » auf den Dielen ein Netzwerk aus mattem Gold«. Und ich fand bei Heinrich Heine, der zu den Heroen deutschen Stils gehört, » ein scholastisches Netzwerk«, das uns hinabzieht » in die wahnwitzige Tiefe der mittelalterlichen Mystik«. Das soll reichen. Der schreibende Deutsche kennt seit Jahrhunderten Netzwerke jeglicher, auch der

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