German für Deutsche
poetischsten und gespinstigsten Natur. Und wir Heutigen setzen unsere eigenen Akzente. Und da ist das weltweite Netz der Computer weitaus eher ein Netzwerk als ein Netz. Ist’s von Menschen technisch anspruchsvoll gewirkt und von komplexer Natur, so soll es ein Netzwerk sein dürfen, so doktriniere ich hiermit konkurrenzsprachpäpstlich.
Aborigines oder Ureinwohner?
Wie heißen die Ureinwohner Australiens? Ureinwohner? Oder Aborigines? Oder Aboriginals? Der Sprachpapst Wolf Schneider mosert, deutsche Journalisten hätten aus den australischen Ureinwohnern Aborigines gemacht, weil sie keine Lust hatten, das Wort zu übersetzen. 11 Falsch verdächtigt, Meister Schneider. Natürlich heißt » Ureinwohner« im Englischen aborigine. Oder aboriginal people oder native.
11 Wolf Schneider: Deutsch für Kenner, S. 110.
Apropos Mosern: » Mosern« kommt nicht etwa vom nuschelnd-grantelnden Tonfall des österreichischen Schauspielers Hans Moser, sondern aus dem Rotwelsch, der auch vom Jiddischen beeinflussten Gauner- und Vagantensprache. Da steht » mosern« für » in betrügerischer Absicht reden«, aber auch für die heute eher gemeinte Bedeutungsvariante » schwätzen«.
Manchmal verengen sich aber auch Bedeutungen im Laufe des Sprachwandels. So setzte sich schon seit etwa 1800 im Englischen aborigines als Name für die australischen Ureinwohner durch. Es wird also kein Anglizismus importiert, sondern ein Name benutzt, so ein deutscher Journalist das Wörtchen aufgreift. In einem Artikel könnte also der sinnige Satz stehen: » Die australischen Ureinwohner werden heute › Aborigines‹ genannt.«
Dummerweise hinkt dieser Journalist aber hinter aktuellen Political-Correctness-Verwerfungen her. Wie so oft bei Benachteiligten aller Art in aller Welt, empfanden plötzlich überaufmerksame Sozialwächter (mit Sprachwächtern psychotypologisch weitläufig verwandt) die bisher geltende Bezeichnung als abwertend. So widerfuhr es in den letzten Jahrzehnten dem aborigine, der nun zum aboriginal mutierte. Politisch korrekte hiesige Redaktionen müssen also ihren Pflichtwortkatalog updaten ( » aktualisieren«, » auffrischen«). Da gibt es also noch Nachholbedarf beim konfliktvermeidenden Wording der deutschen Journaille.
Sollen wir den » Aboriginal« nun also als globalen Zeitgenossen schriftsprachlich umarmen? Ich neige nicht dazu. Nicht aus Anglizismen-Aversion. Sondern weil das Deutsche seit den 90er Jahren zu einer Sprache der vorbeugenden Überkorrektheit verdirbt. Correctness-Fanatiker in Kommissionen, Parteien und NGO s. 12
12 engl. non-governmental organization: » Nichtregierungsorganisation«; sie bo o men seit den 90ern sprachlich, politisch, gesellschaftlich, denn seit 1996 können NGO s nach Anerkennung eine beratende Funktion beim Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen erlangen.
Sprachwächter in aller Welt können sich ausdenken, was sie mögen – wir sind global meist die Ersten, die die überkorrekten neuen Sprachregelungen übernehmen und anwenden. Glücklicherweise haben wir noch einige Journalisten und Autoren, die solchen sozial-gemütvollen Verirrungen immer wieder auf die Schliche kommen und diese erfrischend inkorrekt korrigieren. (Ich empfehle hier nahezu beliebige Texte von Henryk M. Broder, Dirk Maxeiner, Michael Miersch; es sind auch hervorragende Stilisten.)
Plätze, Orte oder doch Locations?
Tourismus ist global. Tourismuswerbung spricht daher gerne Englisch zu uns. Oder übersetzt englische Wendungen. Ein reiselustiger Engländer mag so von seinem Urlaub berichten: » We’ve been to all the beautiful places in Eur o pe.« Wo war er da überhaupt? In Ländern, an Orten, an oder auf Plätzen? Eine deutsche Werbung lockt: » Machen Sie Urlaub an den schönsten Plätzen der Welt.« Anglizismenkritiker behaupten nun, da stecke eine unangemessene 1:1-Übersetzung von engl. places hinter. Der reisende Engländer meine eher Orte, also Ortschaften, so was wie Dörfer, Klein- oder Megastädte. Aber keine Plätze, womit eher nicht-städtische Reiseziele wie Seen, Strände, Buchten, Schluchten oder Berge gemeint seien. Und wir machten jetzt als Schlechtübersetzer überflüssigerweise unsere vertrauten » Orte« zu fremd klingenden » Plätzen«.
Damit wir nicht konfus werden, müssen wir das Problem hinter dem Vorwurf behutsam sezieren. Zwei Fragen sind zu beantworten:
Was meint der Engländer, wenn er von places spricht?
Und was könnte der Deutsche genau falsch machen, wenn er von
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