Germania: Roman (German Edition)
Herr entgegen. Er war vielleicht Anfang sechzig.
»Kann ick wat für Se tun?«, fragte er, während er die ölverschmierten Finger mit einem Lappen säuberte und Voglers Uniform musterte.
»Herr Braun, nehme ich an?«, erkundigte sich Vogler.
»Ja.«
»Wir sind hier, um Ihren Untermieter zu sprechen, Herrn Ziegler.«
»Den Karl wolln Se sprechen? Keene Ahnung, wo der steckt. Hab ihn seit gestern nich mehr jesehen.«
Oppenheimer griff ein. »Können Sie uns seine Wohnung zeigen?«
Es gab nicht viel zu sehen. Zieglers Behausung war nicht mehr als ein Bretterverschlag hinter der Werkstatt, nur wenige Meter von einem alten Toilettenhäuschen entfernt, bestand aus zwei Räumen, einem Vorraum, in dem schäbige Kleidung hing, und dem eigentlichen Wohnraum, der gerade mal groß genug war, um Platz für ein Bett, einen gusseisernen Ofen und einen Tisch zu bieten. Oppenheimer war froh, dass Voglers Männer draußen warteten. Es wäre eng geworden, wenn sie sich alle gleichzeitig in die Stube gedrängt hätten.
»Sieht aus wie bei Hempels unterm Sofa«, sagte Oppenheimer und schob seinen Hut in den Nacken. Ziegler hatte nur wenige Besitztümer, das Prunkstück in dem Zimmer war das Grammophon, das auf einem eigenen Schemel thronte. Daneben befanden sich einige Platten, die sauber geordnet in Papierhüllen steckten. Doch um den Rest seiner Habe schien sich Ziegler nur wenig zu kümmern. Achtlos hingeworfene Kleidung, alte Zeitungen, dazwischen billiger Kram, wie man ihn auf jeder Kirmes an den Schießbuden gewinnen konnte. Ziegler ging nicht gerade ordentlich mit seinen Sachen um. Oppenheimer griff nach dem Paar Schuhe, das in der Zimmerecke stand. Nach einer kurzen Inspektion zeigte er Vogler die Sohlen. »Genau wie der Abdruck vom Olympiagelände.«
»Hat der Kalle wat ausjefressen?«, fragte Herr Braun neugierig von der Tür her. Sie drehten sich um.
Vogler räusperte sich. »Nein, es ist nur eine Routinesache. Wir glauben, dass Herr Ziegler Zeuge eines Unfalls wurde, und hätten dazu einige Fragen.«
Der Blick von Herrn Braun zeigte deutlich, dass er keine Silbe von Voglers Notlüge glaubte. Doch er fragte nicht weiter. Stattdessen war nun Oppenheimer an der Reihe, einige Fragen zu stellen. »Seit wann arbeitet Herr Ziegler für Sie?«
»Lassen Se mich mal überlejen. Im August sind’s jetzt vier Jahre. Der Kalle is nich der Klügste, kann grad mal so lesen, aber auch nur, wenn er sich konzentrieren tut. Aber Maschinen reparieren, det kann der Kalle. Dazu isser nich zu blöd. Hätte ick selbst nich jeglaubt, bis ick es jesehen hab.«
»Er arbeitet in der Werkstatt, und nebenbei liefert er für die Firma Höcker aus?«
»Sowie wat von denen kommt. Früher hab ick det selbst jemacht, aber jetzt is mir det Kistenschleppen zu schwer. Und Kalle schafft det schon.«
»Ist er häufiger abwesend?«
»Am Wochenende isser meistens wech. Schon Freitagmittag wird er unruhig und türmt dann, sowie et eene Jelegenheit gibt. Manchmal verschwindet er auch schon am Donnerstag. Keene Ahnung, wo er sich dann rumtreibt. Montagmorgen isser dann wieder da. Kann man die Uhr nach stellen.«
Oppenheimer blickte sich nochmals um und überlegte. »Wo steht der Lieferwagen, mit dem Herr Ziegler die Waren der Firma Höcker ausliefert?«
»Den hat er mitjenommen. Wie immer am Wochenende.«
Oppenheimer stutzte. Braun ließ seinen Angestellten offenbar ziemlich viel durchgehen. »Sie meinen, er kutschiert einfach so mit Ihrem Lieferwagen durch die Gegend?«
»Nee, Se vastehn det falsch. Der Karren gehört ihm. Kalle hat erzählt, dass er sich dit Jerät mal selbst zusammenjebaut hat. Aus Einzelteilen von Schrottautos. Ick gloob, er hat damals auch für ’ne Zeit drinne jewohnt, bevor er zu mir jekommen is.«
Braun führte Oppenheimer zu der Bretterbude, in der Ziegler sein Fahrzeug abzustellen pflegte. Hockend untersuchte Oppenheimer den Boden. Gestern war es feucht gewesen. Die Erde hatte ausreichend Zeit gehabt, um sich mit dem Regenwasser vollzusaugen, eine gute Voraussetzung, um Reifenabdrücke zu finden. Und tatsächlich entdeckte Oppenheimer unweit des Schuppens zwischen einigen Grasbüscheln einen deutlichen Abdruck.
»Dieses Profil hier ist etwas verwischt«, sagte er zu Vogler. »Beim Olympiagelände war der Wagen direkt über feuchten Lehm gefahren, der danach antrocknete. Der Abdruck hier lässt sich wesentlich schwerer erkennen. Als Beweis könnte man dies vor Gericht wohl nicht benutzen, doch die Ähnlichkeiten reichen
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