Germania: Roman (German Edition)
mir.« Oppenheimer richtete sich auf und wandte sich an Vogler. »Ich würde sagen, das war derselbe Reifen. Geben Sie eine Fahndung nach Ziegler raus. Wir müssen ihn so schnell wie möglich fassen. Er ist dringend tatverdächtig.«
Voglers Männer durchsuchten bereits Zieglers Wohnstube.
»Wenn Sie irgendwo eine Adresse sehen, auf einem Blatt Papier oder sonst wo, oder vielleicht einen Straßenplan, eine Zeichnung, irgendetwas in der Art, dann geben Sie bitte Bescheid«, ordnete Oppenheimer an. »Wir suchen Hinweise nach dem Verbleib dieses Herrn. Alles kann uns weiterhelfen.«
Die Männer hielten mit dem Kramen inne. Einer von ihnen schielte fragend in Voglers Richtung. Als dieser zur Antwort fast unmerklich nickte, fuhren sie mit ihrer Arbeit fort. Das Zögern der Männer hatte Oppenheimer wieder daran erinnert, dass er hier offiziell nicht das Sagen hatte. Er konnte sich zwar kaum zurückhalten, sich an der Suche zu beteiligen, doch die ablehnende Haltung der Leute um ihn herum belehrte ihn eines Besseren. Nach wenigen Minuten des Stöberns hatten sie es tatsächlich geschafft, die Unordnung in Zieglers Wohnung noch zu verschlimmern. Die Männer arbeiteten nahezu geräuschlos, als sie mit präzise einstudierten Bewegungen die Matratze aufschlitzten, die Bodendielen hochhoben und die Wände nach Hohlräumen abklopften, in denen etwas versteckt sein konnte. In ihren Gesichtern spiegelte sich kein Jagdeifer, emotionslos und gründlich wie Buchhalter gingen sie ihrer Aufgabe nach. Es gab keinen Zweifel, diese Männer waren Experten.
Oppenheimer stand unentschlossen im Hinterhof und blickte sich um. In der Ferne läutete eine Kirchturmglocke. Seine Taschenuhr zeigte Viertel vor fünf. Es war bald Zeit, Lisa von der Arbeit abzuholen. Ihm fiel auf, dass er immer noch keine Ahnung hatte, wo sie jetzt unterkommen würden, nachdem Goebbels ihnen verboten hatte, weiter im Judenhaus zu wohnen.
Er machte kehrt und klopfte an den Türrahmen von Zieglers Hütte. »Postieren Sie am besten jemanden in Zieglers Wohnung, falls er zurückkommt«, sagte er zu Vogler. »Ich muss gleich los, meine Frau abholen. Wissen Sie schon, wo wir jetzt übernachten sollen?«
Vogler blickte ihn mit ausdruckslosem Gesicht an. Dann erinnerte er sich an das Problem bezüglich Oppenheimers Unterkunft. »Ja, natürlich. Wir haben eine Lösung gefunden. Allerdings mussten wir dabei ein wenig improvisieren.«
Da es undenkbar war, noch eine zweite Person in dem Beiwagen von Hoffmanns Motorrad zu befördern, nahmen sie den Umweg über Zehlendorf, um ihr Gefährt gegen ein Auto auszutauschen. Als Hoffmann um die Ecke bog, stand Lisa bereits vor dem schwarzen Eisengitter des Fabrikgebäudes und schaute erwartungsvoll die Straße entlang. Hoffmann hielt mit quietschender Bremse direkt vor ihr. Lisa stutzte zunächst, bis sie beim Blick ins Wageninnere ihren Ehemann entdeckte. Schmunzelnd stieg Oppenheimer aus und hielt ihr die Tür auf. »Steig ein, wir haben unseren eigenen Chauffeur.«
Lisas Kollegen, die hinter ihr die Fabrik verließen, zögerten bei diesem ungewohnten Anblick. Als Lisa das leise Tuscheln vernahm, stieg sie rasch ein.
»Im Werk haben wir heute stundenlang gefeiert, weil Material fehlt«, sagte Lisa. »Und? Was ist? Wo stecken sie uns jetzt hin?«
»Alles halb so wild«, antwortete Oppenheimer. »Eigentlich ist es dort sogar recht gemütlich.«
Er sah, dass Lisa noch weitere Fragen hatte, doch sie begnügte sich mit dieser Antwort. Oppenheimer hätte auch nicht mehr gesagt, denn er wollte sie überraschen.
Schon den ganzen Tag über war der Himmel grau verhangen gewesen. Auch jetzt verfingen sich die Wipfel der Bäume im Nebel. Hoffmann, ganz Kavalier der alten Schule, öffnete Lisa die Autotür. Wie benommen stieg sie aus, die Augen weit aufgerissen. Sie achtete nicht darauf, wohin sie trat, sondern starrte ungläubig auf ihre Umgebung. Die fast herbstliche Witterung verstärkte noch den Eindruck, eine verwunschene Welt zu betreten. Lisa atmete tief den Duft des Waldes ein. Sie war von dem Anblick tief ergriffen. »Es ist wirklich traumhaft hier.«
Oppenheimer konnte Lisas Überraschung nachvollziehen. Er dachte an seine eigene Reaktion, als er zum ersten Mal die Siedlung gesehen hatte. Mittlerweile gehörte diese Umgebung immer mehr zu seiner alltäglichen Routine und verlor zunehmend von ihrem Zauber. Lisa wandte sich mit fragendem Blick um. »Aber …«
»Zehlendorf«, sagte er nur.
Sie verstand sofort. »Du meinst,
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