Germania: Roman (German Edition)
eine Zigarette in seine Spitze. »Also schön. Es hilft nichts, wenn wir hier Trübsal blasen. Das macht die drei Frauen auch nicht wieder lebendig. Aber unser Mörder hat uns mit diesem Brief einige Hinweise gegeben. Wenn wir sie jetzt entschlüsseln, können wir weitere Morde verhindern.«
Auch in Vogler kam wieder Leben. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass sie das Büro während der nächsten Stunden benutzen konnten, setzten sie sich zusammen.
»Also, wenn wir uns das Schreiben ansehen – was können wir über seinen Verfasser sagen?«, fragte Oppenheimer.
»Wir kennen jetzt sein Motiv«, antwortete Vogler. »Er will alle Huren umbringen.«
»Alle Frauen, die seiner Meinung nach Huren sind«, präzisierte Oppenheimer. »Das ist möglicherweise ein wichtiger Unterschied. Waren die drei Opfer Huren?«
»Nicht im gewöhnlichen Sinn. Am ehesten noch Fräulein Gerdeler, weil sie mit gutbetuchten Männern schlief, die sie im Adlon kennengelernt hatte.«
»Und sie ließ sich dafür bezahlen. Eine ordinäre Straßenhure war sie jedenfalls nicht. Das letzte Opfer, Inge Friedrichsen, musste sterben, weil sie beim Lebensborn gearbeitet hat. Unser Täter hatte wohl keine Ahnung, dass sie dort nur als Sekretärin angestellt war. Außerdem scheint er das weitverbreitete Gerücht für bare Münze zu nehmen, dass die Lebensborn-Heime Bordelle für SS-Angehörige sind. Das schränkt den Kreis der Verdächtigen ein.«
Vogler sah ihn fragend an. »Inwiefern?«
»Der Mörder hat keine Ahnung, wie es dort wirklich zugeht. Er hat dieselben Klischeebilder in seinem Kopf, wie ich sie selbst vor meinem Besuch dort hatte. Also können wir daraus folgern, dass er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kein Angestellter des Lebensborn ist.«
»Klingt logisch. Aber warum hat er Fräulein Dufour ermordet? Sie war Fremdsprachenkorrespondentin, keine Dirne.«
»Reithermann war das egal. Er hat trotzdem mit ihr geschlafen. Und wahrscheinlich hat er sie auch nur deswegen eingestellt. Unser Mörder könnte genau dasselbe denken.« Vorsichtig fügte Oppenheimer hinzu: »Dann gibt es noch ein Thema, das er mehrmals als Begründung für seine Taten erwähnt. Er nennt diese Frauen Volksschädlinge. Sie seien gefährlicher als Bolschewisten und Juden zusammen. Er scheint sich davor zu fürchten, dass sie die SS mit Krankheiten oder was auch immer infizieren. Er verrichtet die schmutzige Aufgabe, die seiner Meinung nach die Partei übernehmen sollte, nämlich diesen Krankheitsherd unschädlich zu machen. Die Anzeichen deuten darauf hin, dass er ein überzeugter Nationalsozialist ist.«
Vogler verzog seinen Mund. »Es kann eine Finte sein. Vielleicht will er, dass wir genau das denken.«
Natürlich musste Vogler dieses Argument anbringen. Allerdings war der Einwand auch nicht völlig aus der Luft gegriffen. »Kann sein. Das müssen wir im Hinterkopf behalten. Der Brief könnte ein Täuschungsmanöver sein. Doch momentan ist er das Einzige, was wir haben.«
»Außerdem scheint er nicht gewohnt sein, Briefe mit der Schreibmaschine zu schreiben. Er vertippt sich häufig.«
»Hm. Darüber hinaus baut er eher einfache Sätze. Die Zeichensetzung ist fehlerhaft. Wenn er formale Anreden wie geehrter Herr einfügt, dann klingen sie wie Fremdkörper. Andererseits kann er zum Beispiel Wörter wie Volksschädlinge fehlerfrei schreiben. Wie gesagt, es könnte eine Finte sein, aber ich schätze, dass der Urheber dieses Briefes nicht einer Schreibtischtätigkeit nachgeht.«
Vogler nickte. »Sehen Sie sonst noch etwas?«
»Nein, das ist vorerst alles, was ich sagen kann. Allerdings sollten Sie sich sofort mit der Polizei in Verbindung setzen.«
Vogler blickte ihn fragend an.
»Er erwähnt mehrere Briefe, die er bereits an die Polizei geschrieben hat«, erklärte Oppenheimer. »Wir müssen sie finden. Vielleicht können sie uns weitere Aufschlüsse geben.«
Als Oppenheimer ins Judenhaus zurückkam, lief er Dr. Klein in die Arme. Es schien ihm nicht sonderlich gutzugehen. Sein Gesicht wirkte ein wenig grau. Um ihn aufzumuntern, teilte Oppenheimer ihm mit, dass er Ende letzter Woche im Keller von Reithermanns Villa ein Lager mit Konservendosen entdeckt hatte.
»Vielen Dank für den Hinweis«, sagte Klein. »Doch ich befürchte, wenn ich dort auftauche, um die Lebensmittel einzusammeln, werden sie das als Plünderung auslegen.«
Daran hatte Oppenheimer nicht gedacht. Das musste gerade ihm passieren, einem ehemaligen Kommissar. Wenn sie
Weitere Kostenlose Bücher