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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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sollen!«
    Herr Hennebeau wurde nicht böse; er lächelte sogar.
    »Wenn ihr kein Vertrauen zu mir habt, wird die Sache schwieriger ... Ihr müßt dorthin gehen.«
    Die Abgesandten waren seiner undeutlichen Gebärde gefolgt, seiner Hand, die er nach einem der Fenster ausstreckte. Wo war das: dorthin? Ohne Zweifel Paris. Aber sie wußten es nicht genau; es wich in eine erschreckende Ferne zurück, in eine unnahbare, ehrfurchtgebietende Gegend, wo der unbekannte Gott thronte, in der Tiefe seines Heiligtums hockend. Niemals würden sie ihn zu sehen bekommen; sie fühlten ihn bloß wie eine Macht, die von ferne auf den zehntausend Kohlengräbern von Montsou lastete. Wenn der Direktor sprach, war es diese verborgene, Orakel sprechende Macht, die er hinter sich hatte.
    Tiefe Niedergeschlagenheit kam über sie. Etienne selbst zuckte mit den Achseln, um ihnen zu sagen, es sei das Beste, daß sie ihrer Wege gingen; während Herr Hennebeau freundschaftlich Maheu auf den Arm klopfte und sich nach dem Wohlergehen von Johannes erkundigte.
    »Das war euch doch eine grausame Lehre, und dennoch verteidigt ihr die schlechten Verholzungen!... Überlegt euch die Sache, Freunde; ihr werdet einsehen, daß ein Streik ein Unglück für alle ist. Ehe eine Woche zu Ende geht, sterbt ihr Hungers; was wollt ihr da anfangen?... Ich rechne übrigens auf eure Klugheit und bin überzeugt, daß ihr spätestens am Montag wieder anfahret.«
    Alle gingen; sie verließen den Salon mit dem Getrappel einer Herde, mit gebeugtem Rücken, ohne auf diese Erwartung der Unterwerfung auch nur ein Wort zu erwidern. Der Direktor, der ihnen das Geleite gab, sah sich genötigt, die Unterredung zusammenzufassen: auf der einen Seite die Gesellschaft mit ihrem neuen Tarif; auf der ändern Seite die Arbeiter mit ihrem Verlangen nach einer Lohnerhöhung um fünf Centimes für jeden Karren. Um ihnen jeden Wahn zu benehmen, glaubte er ihnen sagen zu sollen, daß ihre Bedingungen von der Verwaltung sicherlich zurückgewiesen würden.
    »Überlegt euch die Sache, bevor ihr Dummheiten macht«, wiederholte er, beunruhigt durch ihr Schweigen.
    Im Hausflur grüßte Pierron sehr untertänig, während Levaque in auffälliger Weise seine Mütze aufsetzte. Maheu wollte zum Abschiede noch etwas sagen, als Etienne ihn mit dem Ellbogen anstieß. Dann gingen alle in diesem drohenden Schweigen. Die Haustür fiel geräuschvoll ins Schloß.
    Als Herr Hennebeau in den Speisesaal zurückkehrte, fand er seine Gäste unbeweglich und stumm vor den Likören. In wenigen Worten unterrichtete er Deneulin, dessen Antlitz sich noch mehr verdüsterte. Während er seinen kalten Kaffee trank, suchte man von anderen Dingen zu sprechen. Allein die Grégoire selbst kamen wieder auf den Streik zurück, erstaunt darüber, daß es keine Gesetze gebe, welche den Arbeitern verbieten, ihre Arbeit zu verlassen. Paul beruhigte Cäcilie mit der Versicherung, daß man die Ankunft der Gendarmen erwarte.
    Endlich rief Frau Hennebeau den Diener.
    »Hippolyte,« befahl sie, »bevor wir in den Salon hinübergehen, öffnen Sie die Fenster, um frische Luft einzulassen.«
     

Drittes Kapitel
    Zwei Wochen waren verflossen; am Montag der dritten Woche zeigten die an die Direktion gesandten Präsenzlisten eine weitere Verminderung der Anzahl der angefahrenen Arbeiter. Diesen Morgen zählte man auf die Wiederaufnahme der Arbeit; allein die Hartnäckigkeit der Verwaltung, die nicht nachgeben wollte, erbitterte die Bergwerksarbeiter. Die Gruben le Voreux, Crèvecoeur, Mirou, Magdalene waren nicht die einzigen, die feierten; in der Siegesgrube und Feutry-Cantel fuhr jetzt kaum der vierte Teil der Arbeiter an; auch der Thomasschacht war schon von dem Streik berührt. Der Arbeitsausstand wurde nachgerade allgemein.
    Im Voreuxschachte lag tiefe Stille auf dem Grubenhofe. Es war die tote Fabrik, die Leere und Verlassenheit der großen Werkstätten, wo die Arbeit feiert. Auf den hohen Gestellen standen unter dem grauen Dezemberhimmel einige Karren von trübseligem Aussehen. Der zwischen den dünnen Füßen der Gestelle aufgehäufte Kohlonvorrat erschöpfte sich, so daß die kahle, schwarze Erde sichtbar wurde; während der Holzvorrat unter der Einwirkung der Regengüsse allmählich in Fäulnis überging. Am Landungsplatze des Kanals lag ein halb beladener Kahn, gleichsam in dem trüben Wasser schlummernd; und auf dem verlassenen Hügel, dessen Schwefelerz trotz des Regens dampfte, streckte ein einsamer Handkarren seine Gabeldeichsel

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