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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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traurig gen Himmel. Doch am trostlosesten sahen die Gebäude aus; das Sichtungswerk mit den geschlossenen Fensterläden, der Glockenstuhl, unter dem man das Gedröhne der aufsteigenden Karren nicht mehr hörte, die kalt gewordene Kammer der Dampferzeuger und der riesige Schlot, der für den spärlichen Rauch viel zu breit war. Die Fördermaschine wurde nur am Morgen geheizt; die Pferdewärter brachten ihren Tieren das Futter; die Aufseher allein arbeiteten in den Gruben als gewöhnliche Arbeiter, um die Einstürze zu verhüten, welche die Gänge verschütten, wenn man aufhört, sie instand zu halten; von neun Uhr an dienten die Leitern zum Auf- und Abstieg. Über diesen toten Gebäuden, die in ihr Leichentuch von schwarzem Staube gehüllt waren, strömte nur mehr der Dampf aus der Pumpe mit dem lauten, langen Atem; der letzte Rest von Leben in der Grube, die vom Wasser ersäuft wäre, wenn auch dieser Atemzug stillgestanden hätte.
    Das gegenüber auf der Hochebene gelegene Dorf der Zweihundertundvierzig schien tot. Der Präfekt von Lille war herbeigeeilt, Gendarmen streiften auf den Straßen; allein angesichts der ruhigen Haltung der Streikenden hatten Präfekt und Gendarmen sich entschlossen heimzukehren. Niemals hatte das Dorf in der weitgestreckten Ebene sich so musterhaft betragen. Um nicht in die Schenke zu gehen, schliefen die Männer den ganzen Tag; die Weiber verkürzten sich ihre Kaffeeportionen und wurden vernünftig, weniger geschwätzig, weniger zänkisch; selbst die Kinder schienen die Lage zu begreifen und benahmen sich so artig, daß sie mit nackten Beinen herumliefen und einander geräuschlos ohrfeigten. Es war die Losung, die von Mund zu Mund ging: man wollte sich klug betragen.
    Im Hause Maheus jedoch war ein ununterbrochenes Kommen und Gehen von Leuten. In seiner Eigenschaft eines Sekretärs hatte Etienne daselbst die dreitausend Franken der Unterstützungskasse unter die notleidenden Familien verteilt. Dann waren von verschiedenen Seiten einige hundert Franken gekommen, das Ergebnis von freiwilligen Spenden und Sammlungen. Doch jetzt waren alle Hilfsquellen versiegt, die Grubenarbeiter hatten kein Geld mehr, um den Streik aufrechtzuerhalten, und der drohende Hunger war da. Der Krämer Maigrat hatte anfänglich einen vierzehntägigen Kredit in Aussicht gestellt, sich aber nach acht Tagen plötzlich eines andern besonnen und die Lieferung von Lebensmitteln eingestellt. In der Regel holte er die Weisungen der Gesellschaft ein; vielleicht wünschte diese, sogleich ein Ende zu machen, indem sie die Dörfer aushungerte. Er handelte übrigens als launischer Tyrann, bewilligte oder verweigerte das Brot, je nach dem Gesichte des Mädchens, das die Eltern sandten, um die Vorräte zu holen; und er verschloß seine Türe vornehmlich der Frau Maheu, der er grollte, und die er strafen wollte, weil er Katharina nicht besessen hatte. Um das Maß des Elends vollzumachen, fror es sehr stark; die Weiber sahen voll Angst ihren Kohlenhaufen kleiner werden; sie fürchteten, der Vorrat werde in den Gruben nicht erneuert, solange die Männer nicht anfuhren. Es war nicht genug, vor Hunger zu verrecken, man sollte auch vor Kälte hinwerden.
    Bei den Maheus fehlte schon alles. Die Levaques aßen noch; sie lebten von einem Zwanzigfrankenstück, das Bouteloup geliehen hatten. Die Pierrons hatten immer Geld; aber um ebenso notleidend zu scheinen wie die anderen, weil sie angepumpt zu werden fürchteten, versorgten sie sich auf Kredit bei Maigrat, der seinen ganzen Laden der Frau Pierron hingeworfen hätte, wenn sie ihren Rock aufgehoben hätte. Schon am Sonnabend waren viele Familien ohne Nachtessen zu Bette gegangen. Angesichts der schrecklichen Tage, die jetzt begannen, war keine Klage zu vernehmen; alle gehorchten ruhigen Mutes der Losung. Das war immerhin ein unbedingtes Vertrauen, eine andächtige Zuversicht, die blinde Hingebung eines Volkes von Gläubigen. Da man ihnen das Zeitalter der Gerechtigkeit verheißen hatte, waren sie bereit, für die Erringung des allgemeinen Glücks zu leiden. Der Hunger erhitzte die Köpfe; niemals hatte der geschlossene Horizont ein breiteres Jenseits diesen vom Elend geblendeten Leuten eröffnet. Wenn ihre Augen in Schwäche sich trübten, sahen sie die ideale Stadt ihrer Träume, aber diesmal ganz nahe, gleichsam verwirklicht mit ihrem Volke von Brüdern, ihrem goldenen Zeitalter der gemeinsamen Arbeit und der gemeinsamen Mahlzeiten. Nichts vermochte ihre Überzeugung zu erschüttern,

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