Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
Vom Netzwerk:
Die Maheu saß neben dem dürftigen Feuer, das sie nicht zu unterhalten wagte; sie hatte aus dem geöffneten Leibchen eine Brust hervorgeholt, die ihr bis auf den Bauch herabfiel, und stillte Estelle.
    Als der junge Mann den Brief zusammenfaltete, befragte sie ihn:
    »Sind's gute Nachrichten, wird man uns Geld schicken?«
    Er schüttelte verneinend den Kopf, worauf sie hinzufügte:
    »Ich weiß nicht, was wir diese Woche anfangen sollen. Doch wir wollen uns durchkämpfen. Wenn man das gute Recht für sich hat, verleiht es einem Mut. Wir sind schließlich doch die Stärkeren.«
    Sie war jetzt auch für den Streik, nachdem sie die Sache wohl überlegt hatte. Es wäre wohl vernünftiger gewesen, die Gesellschaft zur Gerechtigkeit zu zwingen, ohne die Arbeit zu verlassen. Aber nachdem man sie einmal verlassen, dürfe man sie nicht wiederaufnehmen, bevor man sein Recht errungen. Sie zeigte sich da von einer unversöhnlichen Willensstärke. Lieber verrecken, als den Schein des Unrechts auf sich nehmen, wenn man das Recht für sich hatte!
    »Möge doch eine tüchtige Cholera ausbrechen,« rief Etienne. »die uns von allen diesen Ausbeutern befreit!«
    »Nein, nein,« sagte sie, »man soll niemandem den Tod wünschen. Es wäre uns damit auch wenig geholfen, denn es kämen andere. Ich wünsche bloß, daß die Leute von der Gesellschaft vernünftig werden, und erwarte es auch, denn es gibt überall rechtschaffene Leute. Sie wissen, ich bin durchaus nicht für Ihre Politik.«
    In der Tat tadelte sie gewöhnlich seine heftigen Worte. Sie fand, daß er ein Kampfbahn sei. Daß man sich seine Arbeit nach Verdienst bezahlen lasse, sei recht, aber was habe man sich mit einer Menge von Dingen zu beschäftigen, mit den Spießbürgern und der Regierung? Was habe man sich in die Angelegenheiten anderer einzumengen, wo man nur Hiebe davontragen könne? Indes bewahrte sie ihm Achtung, weil er sich nicht betrank und regelmäßig seine 45 Franken Pension bezahlte. Wenn ein Mann sich nur anständig betrug, konnte man ihm alles übrige verzeihen.
    Da sprach Etienne von der Republik, die jedermann Brot geben werde. Allein Frau Maheu schüttelte den Kopf, sie erinnerte sich des Jahres 48, eines Schreckensjahres, in welchem sie und ihr Mann, jungvermählt, die schlimmste Not zu leiden hatten.
    Sie verlor sich in eine Schilderung ihres Ungemachs mit dumpfer Stimme, stieren Augen, die Brust entblößt, während ihre Tochter Estelle, ohne die Mutterbrust loszulassen, auf ihren Knien eingeschlafen war. Auch seinerseits in Gedanken verloren, betrachtete Etienne diesen riesigen Busen, dessen Weiße von dem verwüsteten, gelben Gesichte grell abstach.
    »Nicht einen Heller hatten wir,« murmelte sie; »nichts hinter die Zähne zu stecken. In allen Gruben stockte die Arbeit; es war das reine Elend für die armen Leute, zum Hinwerden, ganz so wie jetzt.«
    Doch in diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und sie blieben stumm vor Überraschung, als sie Katharina eintreten sahen. Seit ihrer Flucht mit Chaval war sie nicht mehr im Arbeiterdorfe erschienen. Ihre Verwirrung war so groß, daß sie zitternd und stumm dastand und die Türe zu schließen vergaß. Sie hatte darauf gezählt, ihre Mutter allein zu finden. Der Anblick des jungen Mannes ließ sie die Worte vergessen, die sie unterwegs sich zurechtgelegt hatte.
    »Was willst du hier?« rief Frau Maheu, ohne sich von ihrem Sessel zu erheben. »Ich will von dir nichts wissen, geh!«
    Katharina haschte nach Worten.
    »Mama, ich bringe Kaffee und Zucker für die Kinder. Ich habe Überstunden gemacht und habe an die Kinder gedacht.«
    Sie zog ein Pfund Kaffee und ein Pfund Zucker aus der Tasche und fand den Mut, diese Dinge auf den Tisch zu legen. Der Streik in dem Voreuxschachte schmerzte sie, während sie im Jean-Bart-Schachte arbeitete. Sie hatte kein anderes Mittel gefunden, ihre Eltern ein wenig zu unterstützen, und brachte Kaffee und Zucker unter dem Vorwande, an die Kleinen gedacht zu haben. Allein ihre Gutherzigkeit entwaffnete ihre Mutter nicht, die ihr erwiderte:
    »Anstatt uns Süßigkeiten zu bringen, hättest du besser getan, bei uns zu bleiben, um Brot für uns zu erwerben.«
    Die Mutter erleichterte ihr Herz und warf der Tochter alles an den Kopf, was sie seit einem Monate gegen sie wiederholte. Mit einem Mann durchzugehen, mit 16 Jahren sich an einen Mann zu hängen, wenn man eine Familie in Not habe: dazu müsse man die letzte der entarteten Töchter sein. Man könne eine Torheit

Weitere Kostenlose Bücher