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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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verzeihen, aber eine Mutter könne einen solchen Streich niemals vergessen. Wenn man sie noch in strenger Zucht gehalten hätte! Aber, durchaus nicht; sie sei frei wie die Luft gewesen; man verlangte nur, daß sie des Nachts zu Hause sei.
    »Was steckt denn in dir in deinem Alter? Sprich!«
    Katharina stand unbeweglich neben dem Tische und hörte gesenkten Hauptes die Vorwürfe ihrer Mutter an. Ein Zittern befiel den mageren Körper des in der Entwickelung zurückgebliebenen Mädchens, und sie suchte nach Worten, um zu antworten.
    »Ach, mir macht es wenig Spaß...« sagte sie. »Er ist schuld an allem. Wenn er will, muß ich doch, nicht? Er ist eben der Stärkere. Weiß man denn jemals, welche Wendung die Dinge nehmen? Nun ist's geschehen, und man kann's nicht ändern. Er oder ein anderer: jetzt ist's gleich. Er wird mich wohl heiraten müssen.«
    Sie verteidigte sich ohne Trotz mit der leidenden Ergebung der Mädchen, die frühzeitig den Mann erkennen. War dies nicht das allgemein gültige Gesetz? Sie hatte nie etwas anderes erwartet: eine Vergewaltigung hinter dem Hügel, ein Kind mit sechzehn Jahren, dann das Elend im Haushalte, wenn ihr Liebhaber sie zur Frau nahm. Sie errötete nicht vor Scham; sie zitterte nur, weil sie als Straßendirne behandelt wurde vor diesem jungen Manne, dessen Gegenwart ihr Beklemmung und Verzweiflung verursachte.
    Etienne hatte sich inzwischen erhoben und machte sich mit dem erlöschenden Feuer zu schaffen, um die Auseinandersetzung zwischen Mutter und Tochter nicht zu stören; aber ihre Blicke begegneten sich. Er fand sie bleich, erschöpft, aber dennoch hübsch mit ihren hellen Augen in dem gebräunten Gesichte. Er empfand ein seltsames Gefühl, sein Groll war geschwunden, er hätte nur gewünscht, daß sie glücklich sei mit diesem Manne, den sie ihm vorgezogen hatte. Es war ein Bedürfnis, sich noch mit ihr zu beschäftigen, ein Verlangen, nach Montsou zu gehen und den andern zu zwingen, sie rücksichtsvoller zu behandeln. Doch sie sah in dieser Regung der Zärtlichkeit, die sich noch immer anbot, nichts als Mitleid. Er mußte sie sicherlich verachten, daß er sie ansah. Ihr Herz zog sich so schmerzhaft zusammen, daß sie kein Wort der Entschuldigung mehr fand.
    »Es ist auch besser, daß du schweigst«, sagte die Maheu unversöhnlich. »Wenn du gekommen bist, um dazubleiben, tritt ein; wenn nicht, geh' gleich wieder fort und sei froh, daß ich nicht vom Sessel aufstehen kann, sonst hätte ich dir schon einen Fußtritt versetzt.«
    Als habe diese Drohung sich plötzlich verwirklicht, empfing Katharina in den Hintern einen Stoß, dessen Heftigkeit sie vor Überraschung und Schmerz betäubte. Es war Chaval, der mit einem Satz durch die offene Tür hereingesprungen und wie ein bösartiges Tier über sie hergefallen war. Seit einer Weile hatte er sie von außen belauscht.
    »Ha, Dirne, ich bin dir nachgefolgt; ich wußte wohl, daß du hierher kamst, um dich, mit ihm gütlich zu tun bis an die Nase! Und du bezahlst ihn noch, wie? Du begießest ihn noch mit Kaffee für mein Geld!«
    Frau Maheu und Etienne waren dermaßen betroffen, daß sie sich nicht rühren konnten. Mit einer wütenden Gebärde jagte Chaval Katharina nach der Türe.
    »Wirst du gehen?« schrie er.
    Als sie in einen Winkel flüchtete, fiel er über die Mutter her.
    »Ein sauberes Gewerbe, das Haus zu hüten, während deine Hurentochter oben die Beine in die Luft streckt!«
    Endlich hatte er Katharina bei den Handknöcheln gefaßt; er schüttelte sie und schleppte sie hinaus. An der Türe wandte er sich abermals nach der Maheu um, die wie festgenagelt auf ihrem Sessel saß. Sie hatte vergessen, ihre Brust wieder zu verhüllen. Estelle war eingeschlafen, das Gesichtchen in den Rockfalten der Mutter vergraben; und der riesige Busen fiel nackt und frei herab, wie das Euter einer Kuh.
    »Wenn die Tochter nicht da ist, läßt die Mutter sich ›pfropfen‹«, schrie Chaval. »Zeige ihm nur dein Fleisch; dein Schweinkerl von einem Mieter ist nicht so ›eklig‹.«
    Etienne wollte den Kameraden ohrfeigen. Nur die Besorgnis, durch eine Rauferei das ganze Dorf in Aufruhr zu bringen, hatte ihn zurückgehalten, Katharina seinen Händen zu entreißen. Doch jetzt hatte auch ihn die Wut übermannt, und die beiden Männer standen mit blutunterlaufenen Augen einander gegenüber. Ein alter Haß kam zum Ausbruch, eine seit langer Zeit uneingestandene Eifersucht. Jetzt mußte einer den ändern fressen.
    »Nimm dich in acht!« stammelte

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