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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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herauszufischen.«
    Jetzt war an Etienne die Reihe zu erröten. Die beiden Männer schrien nicht mehr; von kühler Nebenbuhlerschaft ergriffen, wurden sie in ihren Reden bitter und boshaft. Diese Nebenbuhlerschaft war es im Grunde, welche die Systeme auf die Spitze trieb, den einen zu revolutionären Übertreibungen, den andern zu einer geheuchelten Vorsicht drängte, sie wider ihren Willen über ihre wahren Ideen hinaus fortriß, wie es das Verhängnis der Rollen ist, die man nicht selbst gewählt hat. Suwarin, der ihnen zuhörte, zeigte in seinem Antlitz, das dem eines blonden Mädchens glich, eine stille Verachtung, die vernichtende Verachtung eines Mannes, der bereit ist, sein Leben zu opfern im Dunkel und in der Vergessenheit, ohne dafür auch nur den Ruhm des Märtyrertums zu haben.
    »Also meinetwegen sagst du das?« fragte Etienne. »Du bist neidisch?«
    »Neidisch? Weshalb?« entgegnete Rasseneur. »Ich spiele mich nicht auf den großen Mann auf; ich trachte nicht, einen Zweigverein in Montsou zu gründen, um sein Sekretär zu werden.«
    Der andere wollte ihn unterbrechen, doch er setzte hinzu:
    »Sei doch aufrichtig: du kümmerst dich ganz und gar nicht um die Internationale; du willst nur an unserer Spitze sein, den Herrn spielen, indem du mit dem famosen Bundesrat des Nordens einen Briefwechsel unterhältst.«
    Nach kurzem Stillschweigen nahm Etienne --- vor Wut bebend --- wieder das Wort.
    »Es ist gut...« sagte er. »Ich glaube, ich habe mir nichts vorzuwerfen. Stets habe ich dich zu Rate gezogen, denn ich wußte, daß du hier --- lange vor mir --- gekämpft hast. Doch da du niemanden an deiner Seite dulden kannst, werde ich künftig ganz allein handeln... Ich gebe dir vor allem zu wissen, daß die Sitzung dennoch stattfinden wird, selbst wenn Pluchart nicht kommt, und daß die Kameraden auch gegen, deinen Willen beitreten werden.«
    »Ei, mit dem Beitritt allein ist's nicht getan,« murmelte der Schankwirt; »man muß sie auch bestimmen, die Mitgliedergebühr zu bezahlen.«
    »Keineswegs. Die Internationale bewilligt den im Streik befindlichen Arbeitern einen Aufschub. Wir werden später bezahlen, und sie wird uns sogleich zu Hilfe kommen.«
    Da geriet Rasseneur plötzlich in Zorn.
    »Wir werden sehen! ...« rief er. »Ich werde an deiner Sitzung teilnehmen und sprechen. Ja; ich werde es nicht zugeben, daß du den Freunden die Köpfe verdrehst; ich werde sie über ihre wahren Interessen aufklären. Wir werden ja sehen, wem sie folgen; mir, den sie seit dreißig Jahren kennen, oder dir, der du in weniger als einem Jahre alles auf den Kopf gestellt hast. Nein, nein, laß mich zufrieden ... Es gilt jetzt, wer von uns beiden den andern unterkriegt.«
    Er ging hinaus und schlug heftig die Türe zu, daß die Blumengewinde unter der Saaldecke erzitterten und die Wappenschilder an den Wänden tanzten. Dann versank der große Saal wieder in tiefe Stille.
    Suwarin, der am Tische saß, rauchte still für sich hin, und seine Miene bewahrte ihre gewohnte Sanftmut. Etienne ging eine Weile wortlos hin und her, dann erleichterte er sein Herz. War es seine Schuld, daß man diesen dicken Taugenichts gegen ihn losließ? Er wehrte sich gegen den Vorwurf, die Volkstümlichkeit gesucht zu haben; er wußte nicht einmal, wie alldas gekommen war, die Freundschaft der Bevölkerung des Arbeiterdorfes, das Zutrauen der Bergleute, die Macht, die er zur Stunde über sie hatte. Er war entrüstet über die Anschuldigung, aus Ehrgeiz zum Aufruhr gedrängt zu haben; er schlug sich an die Brust und beteuerte seine brüderlichen Gefühle.
    Plötzlich blieb er vor Suwarin stehen und rief:
    »Hör' einmal: wenn ich wüßte, daß die Sache einem unserer Freunde auch nur einen Tropfen Blut kosten könnte, würde ich lieber sogleich nach Amerika gehen!«
    Der Maschinist zuckte mit den Achseln, und ein Lächeln kräuselte wieder seine Lippen.
    »Blut,« murmelte er, »was hat das zu bedeuten? Die Erde braucht Blut...«
    Etienne beruhigte sich allmählich, nahm einen Sessel und ließ sich am andern Ende des Tisches nieder, den Ellbogen aufstemmend. Dieses blonde Gesicht, dessen träumerische Augen zuweilen eine helle Röte annahmen, die ihnen einen Ausdruck der Wildheit gab, beunruhigte ihn und übte eine seltsame Wirkung auf seinen Willen. Ohne daß der Kamerad sprach, durch das Stillschweigen selbst gewonnen, fühlte er sich allmählich in Gedanken verloren.
    »Was würdest du an meiner Stelle tun?« fragte er endlich. »Habe ich nicht

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