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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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gelegentlich wieder ein ganz nüchtern, das Bier kennend, mit dem sie sich füllen konnten ohne andern Nachteil, als daß man es bald wieder auspissen mußte, hell wie Quellwasser. In der Schenke Lenfants fanden sie Pierron, der seinen zweiten Schoppen trank und, um mit ihnen anzustoßen, auch einen dritten nicht zurückwies. Sie waren jetzt ihrer vier und brachen auf, um zu sehen, ob Zacharias nicht in Tisons Schenke sei. Die Wirtsstube war leer; sie verlangten einen Schoppen, um eine Weile auf ihn zu warten. Dann dachten sie an die Schenke Saint-Eloi, nahmen daselbst von dem Aufseher Richomne einen Rundschoppen an und schlenderten dann von Schenke zu Schenke ohne Vorwand, bloß um sich zu ergehen.
    »Auf zum »Vulkan«!« rief plötzlich Levaque, der allmählich lustig geworden.
    Die anderen lachten und zögerten eine Weile; dann begleiteten sie den Kameraden inmitten der immer mehr anwachsenden festlichen Menge. Im Hintergrunde des schmalen, langen Saales des »Vulkans« war eine Brettererhöhung errichtet, auf der fünf Bänkelsängerinnen, der Abhub der öffentlichen Dirnen von Lille, in schamlosester Weise entblößt und mit ungeheuerlichen Gebärden ihre Zoten zum besten gaben. Wenn ein Gast eine wollte, zahlte er zehn Sous und führte sie hinter die Estrade. Es waren Schlepper, Handlanger, sogar Karrenjungen mit vierzehn Jahren da, die ganze Jugend der Kohlengruben, mehr Wachholderbranntwein als Bier trinkend. Auch einige alte Bergleute beteiligten sich an diesem Treiben, solche, die zu Hause ein unflätiges Eheleben führten.
    Als die Gesellschaft sich an einem der kleinen Tische niedergelassen hatte, machte sich Etienne an Levaque, um ihm seinen Plan einer Aushilfskasse zu erklären. Er war in seiner Propaganda eifrig wie alle Neubekehrten, die sich einer Aufgabe widmen.
    »Jedes Mitglied könnte monatlich zwanzig Sous bezahlen«, wiederholte er. »Durch Ansammlung dieser Beiträge wird man in vier, fünf Jahren ein Kapital zusammenbringen, und wenn man Geld hat, ist man stark, was immer kommen mag, nicht wahr? Nun, was sagst du dazu?«
    »Ich sage nicht nein«, antwortete Levaque zerstreut. »Wir werden darüber reden.«
    Auf der Estrade war eine dicke Blonde erschienen, die ihn reizte; er erklärte denn auch, daß er bleiben wolle, als Maheu und Pierron, nachdem sie ihren Schoppen getrunken, aufbrachen, ohne das zweite Lied abzuwarten.
    Etienne, der mit ihnen wegging, traf draußen die Mouquette, die ihnen zu folgen schien. Sie schaute ihn noch immer mit ihren großen, starren Augen an und lachte gutmütig, als wollte sie sagen: »Willst du?« Der junge Mann nahm die Sache spaßig und zuckte mit den Achseln. Da machte sie eine zornige Gebärde und verlor sich in der Menge.
    »Wo ist Chaval?« fragte Pierron.
    »Ja, wo ist Chaval?« wiederholte Maheu. »Suchen wir ihn bei Piquette.«
    Bei Piquettes Schenke angekommen, wurden sie schon an der Tür durch einen Raufhandel aufgehalten. Zacharias schwang drohend die Faust gegen einen wallonischen Nagelschmied, einen ruhig dreinschauenden, stämmigen Menschen; Chaval stand mit den Händen in den Taschen dabei und schaute zu.
    »Da ist Chaval«, sagte Maheu ruhig. »Er ist bei Katharina.«
    Seit fünf geschlagenen Stunden trieb sich die Schlepperin mit ihrem Galan im Marktgewühle herum. In der Straße von Montsou, einer breiten Straße mit niedrigen, buntgetünchten Häusern, wimmelte das Volk im hellen Sonnenschein wie ein Ameisenzug in der kahlen Ebene. Der ewige schwarze Schmutz war getrocknet; ein schwarzer Staub flog auf und schwebte dahin wie eine Gewitterwolke. Die Schenken zu beiden Seiten der Straße waren mit Menschen überfüllt und mußten ihre Tische bis auf das Straßenpflaster hinaus verlängern, wo eine Doppelreihe von Verkaufsbuden stand mit Spiegeln und Halstüchern für die Mädchen, Messern und Mützen für die Burschen, die Süßigkeiten und Lebkuchen ungerechnet. Vor der Kirche war ein Bolzenschießstand, dem Fabrikhofe gegenüber ein Kugelspiel. An der Ecke der Joisellestraße drängten sich die Leute um einen eingeplankten Platz, wo zwei große, rote Hähne, mit eisernen Sporen bewehrt, einen blutigen Kampf ausfochten. Bei Maigrat ward auf dem Billard um Schürzen und Hosen gespielt. Von Zeit zu Zeit trat tiefe Stille ein; die Menge soff und füllte sich den Magen; ein stummes Übermaß von Bier und gebratenen Kartoffeln breitete sich in der drückenden Hitze aus, welche durch die im Freien aufgestellten Öfen noch gesteigert

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