Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition)
trinken wollen, beide verneinen wir beides. Ich trinke Alkohol, wenn überhaupt, nie vor sechs Uhr abends. Ein Prinzip von mir.
Durch das gut besuchte Restaurant sehe ich einen Herrn wandeln und ab und zu ein Wort ans Personal richten. Der Chef. Ganz Chef der »alten Schule«. Auch an unserem Tisch kommt er vorbei. Groß, schlank, stattlich-elegante Erscheinung, etwa fünfundsechzig. Er sieht mich, hält inne, wirft einen zweiten prüfenden Blick, scheint zu grübeln, sucht mich einzureihen. Dann erkennt er mich und sagt: »Guten Tag, Herr Nährig, wie geht es Ihnen?« Eugen Block ist nicht nur Namensgeber vom Block House, sondern auch einer der erfolgreichsten Hamburger Unternehmer überhaupt. Nachahmenswert. »Danke, Herr Block, ausgezeichnet. Wenn man in Ihrem Restaurant sitzen darf, geht es einem immer gut.« Es folgt ein wenig Small Talk.
»Ich sehe, Sie trinken nur Wasser«, sagt er schließlich. Wieder überlegt er ein wenig und fügt hinzu: »Schade, ich würde Ihnen so gerne ein Bier ausgeben.« Worauf ich, mehr vorwitzig als ernst gemeint, antworte: »Das ist sehr nett von Ihnen, aber ich trinke zu Mittag kein Bier. Doch wenn Sie schon großzügig sein wollen, können Sie gerne das Essen ausgeben.«
Nun – das wollte er dann aber doch nicht.
Das nennt man Hamburger Zurückhaltung! Vornehmes hanseatisches Understatement!
Bringen Sie das Auto mit herein
Yvonne von Stempel ist eine jener alterslosen Public-Relations-Damen, denen man nicht widerstehen kann. Selbst dann nicht, wenn sie etwas falsch machen. Was bei ihr natürlich praktisch nie vorkommt. Yvonne von Stempel leistet gute Arbeit. Ist immer im Dauerstress. Das macht sich in ihrem Beruf gut. Ich durfte sie viele Male im Jahreszeiten-Grill betreuen. Meist kam sie zu zweit mit einem Geschäftspartner. Jedenfalls hatte es den Anschein, dass es ein Geschäftspartner war.
Eines Mittags, es war für 13 Uhr ein Tisch für sie und einen Gast bestellt. Es ist schon eine Viertelstunde später, sie kommt nicht. Ungewöhnlich. Pünktlichkeit ist eines ihrer Prinzipien. 13 Uhr 30, endlich. Frau von Stempel kommt ganz aufgelöst in den Grill. »Herr Nährig, Herr Nährig, ich muss meinen Tisch wieder abbestellen, ich kann nicht kommen.« Ich gehe sofort zu ihr hin und frage: »Ja, warum nicht, hat Ihr Gast abgesagt?« In diesem Moment klingelt ihr Mobiltelefon. Sie kramt und gräbt in ihrer riesengroßen Umhängetasche, die eher aussieht wie der Beutel eines Gesellen, der nach Abschluss der Lehre auf die Walz geht und all sein Hab und Gut in seinem Säckchen verstaut hat. Endlich hat sie das Handy gefunden, aber zu spät. Der Anrufer hat die Geduld verloren; im Gegensatz zu mir – ich wartete immer noch auf Antwort auf meine Frage. Das Handy wird wieder zurückgelegt. Diesmal aber nicht in die Riesentasche, sondern in die linke Seitentasche ihrer kurzen, grau-grünen, sehr engen, aus edelstem Kaschmir geschneiderten Jacke. Ich glaube, man nennt das figurbetont.
Das Telefon klingelt erneut. »Ah!«, sagt sie. »Er ist wieder da … Hallo …!?« Das Gesicht hellt sich auf. »Mein Gast hat sich verspätet, er kommt in zehn Minuten«, informiert sie mich, während sie das rechte Knie nach oben zieht, um die große Tasche darauf abzustützen, in der sie nun wieder nach irgendetwas anderem sucht. Dabei beugt sie den Kopf, woraufhin die kunstvoll in die tadellose Frisur gesteckte Prada-Sonnenbrille sich langsam aus ihrer Ohrenverankerung löst und nach unten zu rutschen beginnt. Fällt. Direkt in die Tasche hinein. Das nennt man Präzision. Der Stressfaktor steigt.
Nun versuche ich es noch einmal: »Warum wollen Sie Ihren Tisch denn abbestellen?« Sie fischt die Brille wieder aus der Tasche, steckt sie hastig in die blonden Haare, die sie mit demselben Schwung aus dem Gesicht streicht, und antwortet: »Die Hotelgarage ist voll besetzt, ich finde keinen Parkplatz, was soll ich mit meinem Auto machen?« Weiß nicht, was mit mir los war, aber wie vom Teufel geritten erwidere ich, indem ich sie treuherzig anblicke: »Bringen Sie es doch mit herein.« Da schaut sie mich verdutzt an, die Augen rollen, die Wimpern schnellen ein paarmal von oben nach unten, und sie fragt: »Ja, darf man das denn?«
Sie hat den Witz sofort erkannt und blitzschnell geantwortet. Das ist heller Geist!
Mrs. Braun kommt allein
Mrs. Elvira Braun ist vor langen Jahren mit ihren Eltern nach Südamerika ausgewandert, die es dort zu einem großen Vermögen gebracht haben. Beide sind verstorben.
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