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Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition)

Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition)

Titel: Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rudolf Nährig
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Die Tochter, in der Zwischenzeit an die siebzig, unverheiratet, wollte wieder einmal die Heimatstadt der Eltern sehen. Sie selbst ist in Bolivien aufgewachsen, spricht aber akzentfreies Deutsch. Der Aufenthalt im Hotel Vier Jahreszeiten sollte zwei Wochen dauern.
    Ihre schlanke Figur unterstrich sie mit einem engen schwarzen Hosenanzug noch zusätzlich. Immer das gleiche Modell. Ich glaube mich zu erinnern, dass etwa zwanzig Stück davon in ihrem Ankleidezimmer hingen. Die wasserstoffblonden Haare fielen wie kleine Zöpfchen rund um den Kopf herab. Es sah sehr kunstvoll, aber doch etwas speziell aus. Augenbrauen und Augenlider in sehr dunklen, braunschwarzen Tönen geschminkt, was die ganze Person ein wenig geisterhaft erscheinen ließ. Wenn sie zum Frühstück oder Mittagessen das Restaurant betrat und um einen Tisch bat, fragte der jeweilige Kellner gewohnheitsmäßig: »Für eine Person?« Da verfinsterte sich ihre Miene und sie gab etwas harsch zurück: »Sehen Sie noch jemand?« Dazu wedelte sie demonstrativ mit den Armen. » Ich sehe niemanden.« Und schüttelte ärgerlich den Kopf.
    Diese Dame hatte ein Problem damit, dass sie allein war. Weiß der Teufel warum. Daraufhin wurden nun alle in Frage kommenden Kellner instruiert, dass man ihr Fragen wie: »Ein Tisch für eine Person?«, »Sind Sie allein?«, oder »Erwarten Sie noch jemand?«, eben grundsätzlich nie stellen durfte. Hier war meine psychologische Halb- oder, nun ja, Achtelbildung dringend geboten.
Abschied vom Austernmeer
    Pali Meller Marcovicz war lange Zeit als Marketingchef und Künstlerbetreuer bei der Deutschen Grammophon Gesellschaft tätig und für eine Reihe von Produktionen zuständig. Im Zuge seiner Tätigkeit war er oftmals in unserer Wohnhalle mit prominenten Künstlern zum Aperitif und anschließend im Grill zum Abendessen verabredet.
    Eines Abends saß er wieder in der Hotelhalle beim Martini. Ich fragte, mit wem er sich denn heute treffe. Er nannte den Namen der Gattin eines berühmten Dirigenten; eine sehr exzentrische Dame. »Oh«, antwortete ich, »ich wusste gar nicht, dass sie im Haus wohnt, hab sie noch nicht gesehen.« Da verdrehte Pali seine großen Augen mit den Worten: »Sie werden sie schon noch bemerken.« Er hatte recht. Keine zwanzig Minuten später war es so weit – die Dame war unübersehbar und vor allem unüberhörbar. Redete ohne Pause, ohne Luft zu holen. Gestikulierte und hatte Wünsche, die so gut wie unerfüllbar waren. Beide aßen Austern und danach bestellte Pali, wie immer, Beefsteak Tatar. Aus Prinzip ohne Petersilie. Er sagte: »Es sind noch genug Zutaten dabei, die das Fleisch zusammenhalten.«
    Einige Tage danach kam er mit der Wiener Burgschauspielerin Paola Loew. Paola Loew war mit dem berühmten Pianisten Friedrich Gulda verheiratet gewesen. Nun waren sie geschieden. Die Scheidung machte der hochbegabten Schauspielerin zu schaffen, was ihre Tätigkeit am Wiener Burgtheater beeinträchtigte. Sie geriet in Wien ein wenig in Vergessenheit. Ein nicht sehr angenehmer Zustand für eine Schauspielerin. Mir aber war sie gut in Erinnerung, und als das wohlbekannte Gesicht mit Pali zur Tür hereinkam, sagte ich: »Guten Abend, Frau Loew.« Die Dame bedankte sich mit sehr freundlichem Lächeln und strahlenden Augen. »Wie kommt es, dass mich in Wien niemand erkennt und zwölfhundert Kilometer entfernt werde ich mit meinem Namen begrüßt?!« Sie fragte ihren Gastgeber, ob er ihren Besuch angekündigt habe. »Nein«, gab er zurück, »aber der Ober ist aus Wien und wohl auch Theatergänger.« Allein mit dieser persönlichen Begrüßung hatte ich der Dame eine solche Freude gemacht, dass sie den ganzen Abend bei guter Laune war. Der Abend war gerettet.
    Mit der Zeit entwickelte sich zwischen Pali Meller Marcovicz und mir eine enge Freundschaft, die bis zu seinem Tode Bestand hatte. Schließlich wurde Pali sehr krank und war praktisch ans Haus gefesselt. Das Atmen fiel ihm schwer. Ohne Beatmungsgerät konnte er kaum eine Stunde auskommen. Auf Austern und Beefsteak Tatar zu verzichten fiel ihm jedoch noch schwerer. Deshalb bestellte er diese Speisen ab und zu per Telefon im Vier Jahreszeiten und ließ sie durch einen Kurier abholen. Einmal hatte ich Zeit, ihm seine Bestellung selbst zu bringen, und wir aßen zusammen. Das wiederholten wir von nun an des Öfteren. Unsere abendlichen Essen und Gespräche erstreckten sich meist bis in die späte Nacht. Obwohl er unter großer Atemnot litt, liebte Pali es, in langen,

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