Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition)
und Dessert Wodka trinkt und mit der man weiß Gott »Pferde stehlen« gehen kann. Oder, wer’s mag, auch zu den Heimspielen des FC St. Pauli. Eine Grande Dame und Fußball – auch das passt. Überhaupt: Welche auch noch so ungewöhnliche Farbe das Chamäleon annimmt, Stil und Noblesse bleiben nie auf der Strecke. Kai Diekmann hat sie einmal gefragt: »Soll ich dich Pippi Krages oder Ulli Langstrumpf nennen? Ich kann mich nicht entscheiden.« Beides passt: Ihre wohltuende Natürlichkeit entbehrt jeder Art von Zuckerguss.
Für mich war es ein innerer Drang, all dies entsprechend zu honorieren. Aber wie? Weniger ist mehr, auch das eine Lehre aus meiner langjährigen Kellnertätigkeit. Also einfach ein paar ehrlich herzliche Zeilen zum Geburtstag. Ihr Dank kam prompt in Form von regelmäßigen Besuchen. Die Geburtstage von ihr und ihren Kindern waren von nun an wichtige Tage in meinem Dienerdasein.
Der Jahreszeiten-Grill ist der einzige Platz, den sie ihrem »Séparée« im Millerntor-Stadion vorzieht. Für ihren Besuch wähle ich einen besonders schönen Tisch aus, überlege mir eine exklusive Dekoration und bestelle in der Patisserie eine Festtagstorte, die als Motiv wodkatrinkende Fußballspieler zeigt. Endlich ist es so weit. Mutter, Tochter, Sohn: Alle drei stehen am Eingang und ich genieße die Umarmung von Ulrike. In den Augen meiner danebenstehenden Arbeitskollegen sehe ich gesunden, traurigen Neid. Der italienische Taschencasanova Luigi hofft sehnlichst, auch einmal an die Reihe zu kommen. Doch bis dahin fließt noch viel Wasser die Alster hinunter. Die Gunst einer solchen Dame verdient man sich nicht im Handumdrehen.
Ein goldener Schimmer festlicher Glorie legt sich über alles. Der Genuss des Abends nimmt seinen Anfang. Jeder Augenblick ist ein ganz besonderer, jeden Servicegang koste ich aus. Es ist ein Tag des Glanzes und der guten Laune. Hier macht Dienen Freude, hier wird Beruf zum Hobby und umgekehrt.
Am Ende dieses Abends macht mir Ulrike ein Angebot, das meine Lebensgeister tanzen lässt. »Herr Nährig«, sagt sie, »wir sollten einen Jour fixe festlegen, an dem wir zusammen auf den Isemarkt einkaufen gehen. Dort versorgen wir uns mit ehrlich produzierten Früchten, mit Obst, Kartoffeln und Fleischwaren, um sie dann zu Hause bei mir ihrer eigentlichen Bestimmung zuzufügen, indem wir ein königliches Mahl daraus bereiten.« Dabei funkeln ihre Augen. »Das wäre ganz was Besonderes für mich«, setzt sie noch hinzu. Was soll man da antworten? »Und erst für mich!«, sage ich berührt.
In solchen Momenten weiß ich ganz sicher, dass meine Berufswahl die absolut richtige war. Ein aufregendes Angebot, auf dessen Einlösung ich mich freue. Lediglich die fällige »Wodka-Party« macht mir Sorgen, bin nicht geeicht. Aber das passt schon.
Also – auf zum Isemarkt!
Merkt auf, merkt auf! Die Zeit ist sonderbar,
Und sonderbare Kinder hat sie: Uns!
Wer allzu sehr verliebt ist in das Süße,
Erträgt uns nicht, denn unsre Art ist herb,
Und unsre Unterhaltung wunderlich.
Hugo von Hofmannsthal
Begegnungen mit großen Namen und Menschen II
Ist alles Chimäre, aber mich unterhalt’s!
Johann Nepomuk Nestroy
Roman Herzog – Bei Zimt schnurre ich
Es ist oftmals schwierig, die richtige Anrede für bestimmte Personen, etwa die Inhaber – oder ehemaligen Inhaber – hoher Ämter, zu finden. Wie zum Beispiel im Fall einer Begegnung mit einem deutschen Bundespräsidenten a. D. Roman Herzog war zusammen mit seiner Frau, der Baronin von Berlichingen, zum Abendessen avisiert. Wenn das Ehepaar Herzog im Hause war, reservierte ich immer, sozusagen prophylaktisch, deren Lieblingstisch. Ein runder Tisch am Fenster, der auch schon der Lieblingstisch von Baronin von Berlichingen und deren Mutter gewesen war.
Herzog kommt in den Grill, die Baronin hinterdrein. Er im grauen Anzug, dazu weißes Hemd, unauffällige Krawatte. Die Baronin im eleganten Designerkostüm, das sie noch schlanker erscheinen lässt, als sie ohnedies ist. Eine Dame par excellence. Als beide Platz genommen haben, nehme ich alle Courage zusammen und stelle Herzog jene Frage, die mir schon lange auf die Seele drückt: »Wie, verehrter Herr, darf ich Sie ansprechen?«
»Herr Präsident, Herr Doktor oder nur Herr Herzog – so ganz ohne Titel.«
Er merkte, dass es mir als echtem und rechtem Wiener gar nicht gefiel, ihn so ganz nackt, ohne Titel oder akademischen Grad, anzusprechen, und so tat er mir den Gefallen hinzuzufügen: »Also, wenn Sie
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