Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition)
worauf es ankommt, ist es ganz einfach mit ihm.
Schon wenn er das Restaurant betrat, war jedem vom Personal bewusst – jetzt kommen besondere Ansprüche auf uns zu, die es zu bewältigen gilt. Selbstverständlich war er immer vor seinem Gast da. Wollte immer den gleichen Tisch. Den Tisch mit der kleinen Bank hinter der Treppe. Von dort aus kann man alles übersehen, wird aber selbst nicht gesehen. Was im Grunde für Raddatz wieder ganz untypisch ist. Er ist eine außergewöhnliche Erscheinung, wie ein eleganter Pfau, der sein Rad schlägt. Eine Bekannte von mir, ebenfalls ein häufiger Gast im Grill, pflegte zu den jungen Mädchen zu sagen: »Wenn ihr euch die Lippen anmalt, dann sollt ihr nicht im Schatten stehn.« Das passt auch für Fritz J. Raddatz. Wenn du dich schon so rausputzt, dann zeig dich auch.
Das Glas Champagner war Programm. Zum guten Start eines gelungenen Abends sollten zudem Austern vorrätig sein. Das war eine Leidenschaft von ihm. Eine von vielen. Einen guten Bordeaux hatte ich immer schon vorbereitet. Die Flasche im Korb, in Sichtweite. Dekantierflasche, langstielige Kerze und Korkenzieher ebenso. Diese Signale sind wichtig. Sie vermitteln dem Gast das Gefühl: »Schau her, wir haben uns auf deinen Besuch gefreut. Wir haben dich erwartet. Wir haben uns schon viele Gedanken gemacht.« Wenn dies alles gut vorbereitet ist, kann eigentlich nicht mehr viel schiefgehen.
Wenn Raddatz ein Abendessen plante, rief immer Wochen im Voraus sein Sekretariat an und fragte nach, ob auch sein Tisch frei sein und ich an dem Abend Dienst haben würde. Es kam auch mal vor, dass der Termin verlegt wurde, wenn ich einen freien Tag geplant hatte und diesen nicht verschieben konnte. Ja, das sind halt die »Verdienste« eines langjährigen Oberkellners. »Die Früchte vom Baum«, wie Gert Westphal zu mir zu sagen pflegte, wenn er eine unerwartet hohe Gage bekam.
All die Umsorgung seiner Person mochte der Professor sehr gern. Das belohnte er dann und wann mit ein paar kleinen Neckereien. Als wir einmal unser sogenanntes Begrüßungsritual zelebrierten – quasi verbales Pingpong –, hörte sein Gast, der junge Alexander Fest, mit dem er zum ersten Mal im Grill war, amüsiert zu und meinte dann: »Sie sind ja, scheint mir, ein eingespieltes Team.« Auch das war eine »Frucht vom Baum«.
Einmal war Raddatz zu einem Besuch angemeldet und ich hatte kurzfristig ein Catering in einer Privatvilla an der Außenalster zu verrichten. Das ließ sich nicht ändern. Meine Mitarbeiter trafen nun alle Vorbereitungen nach meinen Anweisungen. Bordeaux, Dekantierkaraffe, die speziellen Gläser, alles da. Eigentlich konnte nichts fehllaufen. Doch da das Restaurant vollbesetzt war, vermochte mein Stellvertreter den Wein nicht sogleich zu servieren, und schon sagte der Professor: »Bitte, wozu haben Sie all diese Gerätschaften aufgebaut und bereitgestellt, wenn Sie doch nichts damit machen?« Solche Reklamationen sind in unserem Hotel schon ein Arges.
Dessert aß Raddatz nie. Jedenfalls nicht im Grill. Käse ja. Nicht aber das »Käsebrett«, das für gewöhnlich im Grill angeboten wurde. Nein, es musste ganz opulent sein. Aus diesem Grunde besorgte ich immer speziell für ihn den großen Käsewagen aus dem angeschlossenen Gourmetrestaurant Haerlin. Der war zu seiner Zufriedenheit. Bei einem seiner Besuche war das Haerlin geschlossen, somit konnte ich »nur« das grillübliche Käsebrett anbieten. Da ging’s aber los. »Ja, was ist das denn? Das ist ja wie in einem Landgasthof oder einer Bahnhofshalle!« Als ob ein Landgasthof etwas Schlechtes wäre. Professor Raddatz und sein Gast lachten sich halb tot über diesen Kommentar. Die fanden das lustig. Ich stand mit hochrotem Kopf da und es fiel mir nichts ein. Außer: »Wenn schon Bahnhof, dann aber erste Klasse.«
In seinen Tagebüchern, 2010 bei Rowohlt erschienen, widmete er mir einige Zeilen. Ich kam gut dabei weg. Vielen der dort erwähnten Prominenten erging es weniger gut. Bei der Vorstellung des Buches im erlauchten Kreis begrüßte er mich mit den Worten: »Wenn Sie mir nicht gleich ein Glas Champagner geben, streich ich Sie wieder aus dem Register.«
Viele seiner Bücher habe ich mit einer sehr persönlichen Widmung geschenkt bekommen. Meist brachte er sie selbst vorbei. Das ist auch eine Art Auszeichnung und Orden für mich. »Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut«, sagte Kaiser Franz Joseph I. gerne nach der Mahlzeit. Die Ausrichtung des achtzigsten Geburtstags
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