Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition)
Lorenzo« in Hamburg-Glinde. Davon war er ganz und gar begeistert. Der dortige Patron Pepe Dellavecchia ist auch der Küchenchef. Seine Frau Iris beaufsichtigt, nebst einigen glutäugigen jungen Römern oder Milanesen, den sehr zuvorkommenden Service. Ein echtes und rechtes italienisches Restaurant. Aber das Dessert, die Mehlspeis? Zu diesem für einen Österreicher geradezu sakralen Zeremoniell begibt sich Alfons Haider immer zu mir in den Jahreszeiten-Grill.
»Ein Besuch in Hamburg, ohne Sie zu sehn, geht nicht.« Klingt für einen Schauspieler verblüffend echt. Ist auch so gemeint. Schmeichelt mir. Wärmt das Herz. Diese ehrliche Herzlichkeit ist bei Künstlern seines Formats Rarität. Er ist ein wirklicher Sympathieträger. Ja, so möchte man gern sein. Beim letzten Besuch hat er mich in seine Fernsehshow »Dancing Stars« eingeladen. Geht nicht, kann nicht Linkswalzer tanzen.
Sein schauspielerisches Können zeigt er jährlich beim Theaterfestival in Stockerau, auf der Freilichtbühne vor der barocken Stadtpfarrkirche. Stockerau ist eine kleine Stadt mit etwa 15 000 Einwohnern in Niederösterreich, etwa dreißig Kilometer nördlich von Wien. Die sommerlichen Festspiele, deren langjähriger künstlerischer Leiter Haider ist, lassen dieses etwas verschlafene Städtchen Jahr für Jahr zu der Festivalstadt der Region erblühen. Verleihen der Stadt einen Strahlenkranz. Auch dazu hat er mich schon mehrmals eingeladen. Wie aber meist, nehme ich derlei Einladungen nicht an. Es verpflichtet. Für ein selbst gekauftes Billett braucht man nicht zehnmal Dankeschön zu sagen. Nur so kann man Freundschaften, soweit das zwischen Kellner und Gast und zwischen Schauspieler und »Normalbürger« überhaupt möglich ist, pflegen und erhalten. Die Nicht-Pflege ist die eigentliche Pflege.
Paul Flora – Held mit Huhn
Wann immer der große österreichische Zeichner Paul Flora in Hamburg weilte, bezog er im Vier Jahreszeiten Quartier. Er speiste oft mit seiner ungemein hübsche Frau Ursula im Grill, meist in Begleitung seiner besten Freunde, der liebenswerten von Kuenheims – Haug von Kuenheim, ein typisch hoch aufgeschossener, drahtiger, etwas spröder Hamburger; seine Frau herzerfrischend bis in die klargelackten Zehennagelspitzen. Es war immer etwas höchst Erfreuliches für mich, meinen großgewachsenen vierschrötigen Landsmann mit dem unverfälschten Tiroler Dialekt sprechen zu hören, ihn betreuen und verwöhnen zu dürfen. Sein herzliches Begrüßungszeremoniell genoss ich sehr. Das volle, schön gelockte Haar veränderte sich selbst im hohen Alter von 86 Jahren nicht. Kurz vor seinem 87. Geburtstag ist er dann gestorben.
Wie viele Abertausende von feinsten Bleistiftstrichen enthalten seine Zeichnungen! Ob die Arbeit nun einer Szene aus Venedig galt, ob es Riesenkugeln waren, die ein Zwerg zu schultern versucht, oder ob er einem neuen Exemplar aus seinem unermesslichen Heer von Raben Form verlieh. Auf meine Frage: »Wie viele Bleistifte haben Sie schon verkritzelt?«, antwortete er: »Sie sind der Erste, der meine Arbeit richtig erkannt hat; ich bin ein Kritzler.« Und fügte, direkt auf meine Frage bezogen, hinzu: »Bei tausend habe ich aufgehört zu zählen.«
Floras bevorzugte Speise waren Stubenküken, in Butter goldbraun gebraten. Dazu Petersilienerdäpfel und Häuptelsalat (in Deutschland profan »Kopfsalat« genannt). Stubenküken, diese Hamburger Spezialität, wurden stets vor den Augen des Gastes am Tisch tranchiert. Bei einer dieser Tranchieraktionen hatte ich wenig Glück und bekam das kleine Federvieh nicht in die vorgesehenen Teile zerlegt. Flora schaut genüsslich zu, weidet sich sichtlich an meiner Verzweiflung ob meines tragischen Tranchierschicksals. Doch beim Essen machte er die tröstliche Bemerkung: »Ihre Mühsal hat Früchte getragen, heute schmeckt es besonders gut.«
Am nächsten Tag war auch schon wieder Abreise. Er fuhr immer mit der Eisenbahn im Schlafwagen erster Klasse nach Innsbruck. Auch so eine Gemeinsamkeit zwischen uns: Wir liebten die Fahrt im Nachtzug und das beruhigende »Dumm, dumm – dumm, dumm – dumm, dumm« der über die Schnittstellen der Schienen polternden Räder. Es schläfert so schön ein. Die Landschaft zieht vorbei und zeigt sich mit all ihre Reizen, Herrlichkeiten, Sonnenauf- und -untergängen wie auch all ihren verfallenen Häusern, aufgelassenen Bahnhöfen, Architektenwiderwärtigkeiten, Umweltsünden und anderen Schrecklichkeiten.
Vierzehn Tage später trudelt bei
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