Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition)
Oberkellner in einem Luxusrestaurant muss die Spielregeln kennen. Und Manuel kennt sie auch. Er kennt alle Regeln.
Seine meist dunkelblauen, nadelgestreiften und immer etwas zu engen Maßanzüge lassen ihn als Dandy erscheinen. Ist er wohl auch. Das blonde, glatte, pomadisierte Haar und die ständig, auch im tiefstem Winter, braune Haut deuten darauf hin, dass er ein Lebemann ist. Und das ist er. Ein Genussmensch, so weit die Sinne reichen. Mir ist er schon wegen seines wunderschönen alten Sportwagens, ein knallroter Mercedes 300 SL, sympathisch.
Selbstverständlich habe ich nicht vergessen, seiner Frau und ihm zum Hochzeitstag meine besten Glückwünsche zu übermitteln. Also setze ich mich zum Schreibtisch, nehme Feder und Tinte und beginne: »Lieber Herr Helsberg, am 12. Mai haben Sie mit Ihrer wirklich charmanten Gattin Hochzeitstag. Dazu meine besten Glückwünsche für Sie beide, mit der Bitte: Halten Sie noch eine Weile durch!«
Nach etwa einer Woche kommt Herr Helsberg wieder zum Mittagessen, bedankt sich freundlich für die Grüße zum Hochzeitstag und setzt hinzu: »Herr Nährig, darf ich eine kleine Korrektur vornehmen. Das Datum des Hochzeitstages stimmt zwar – bei meiner ersten Frau. Aber in der Zwischenzeit bin ich bei der dritten angelangt und mit der habe ich am 6. Oktober Hochzeitstag.« Dann schüttelt er beinahe entschuldigend den Kopf und sagt: »Wie Sie sehen, konnte ich Ihrer Empfehlung nicht folgen, ich habe nicht durchgehalten.«
Ja, ein ordentlicher Oberkellner sollte immer auf dem Laufenden sein und alle Sprünge und Saltos seiner Gäste beobachten und verfolgen.
»Kaffee verkehrt«
Eine sehr gut aussehende Dame um die vierzig bis fünfundvierzig betritt den Grill. Ihr Frühlingsensemble zur Jahreszeit passend. Bunt bis grellbunt. Stilettos aus Italiens feinstem Schuhgeschäft. Dezente Schminke und forscher Gang. Im Schlepptau ein etwa achtzehnjähriger junger Mann. Ebenfalls sehr gut aussehend, aber schüchtern. Der einzige Tisch am Fenster ist soeben frei geworden. Die Dame bittet nicht, wie es sich gehört, um einen Tisch, sondern geht sicheren Schrittes an mir vorbei direkt zum Fenstertisch. Meine nicht zu laute Frage: »Darf ich Ihnen helfen?«, überhört sie und geht weiter. Worauf ich, jetzt sehr leise, flegelhafterweise sage: »Mutti hat alles im Griff.«
Da dreht die hellhörige Dame sich prompt um und meint: »Ich bin die Tante, aber seit einigen Monaten seine Geliebte.« Dann nimmt sie den schüchternen Jungen bei der Hand und sagt noch zu mir: »Sind Sie damit einverstanden?«
Ich verneige mich wohlwollend. De gustibus non est disputandum.
Das nennt man Mit-der-Zeit-Gehen oder »Kaffee verkehrt«.
Die große Liebe gibt es
Frau Hansen hatte lange Zeit Porträt- sowie Werbefotos gemacht und war im Besitz einer Hasselblad-Kamera. Kenner wissen, Hasselblad ist der Rolls-Royce unter den Fotoapparaten. Auch ich fotografiere sehr viel, hatte einige Zeit im Vier Jahreszeiten sogar die Fotos für die Hotelprospekte geschossen und immer gute Kameras besessen – aber keine Hasselblad. Frau Hansen, die um meine vergleichsweise bescheidene Fotografensituation wusste, fasste eines Tages den Entschluss, mir ihr prachtvolles Fotogerät zu schenken. Sie selbst wollte nicht mehr fotografieren und brauchte die Kamera nicht mehr. Und so kam der Tag, an dem ich das gute Stück im Hause Hansen abholte. Meine Freude war außerordentlich. Nun war ich selbst im Besitz eines Foto-Rolls-Royce.
Oktobersonntag. Vormittag, zehn Uhr. Es ist nicht wirklich kalt, aber frisch. Die Sonne scheint, doch sie hat nicht mehr viel Kraft zum Wärmen. Ich gehe, wie jeden Sonntag, zum Dienst. Von der U-Bahn-Haltestelle Jungfernstieg durch die Colonnaden, um durch den Personaleingang ins Hotel zu gelangen. Vor mir ein älteres Paar. In der Rückansicht kann ich erkennen, dass der Herr feinen Zwirn trägt und die Dame ein elegantes Tageskostüm der Haute Couture. Die beiden sind sicher achtzig oder auch schon darüber. Der Mann geht ein wenig gebückt, die Frau kerzengerade.
Sie schauen sich die Schaufenster an. Kaufen können sie heute am Sonntag nichts. Wollen sie wohl auch gar nicht. Wenn man achtzig ist, ein wenig wohlhabend, was die elegante Kleidung vermuten lässt, dann braucht man nichts mehr, man hat schon alles. Bei genauerem Hinsehen erspähe ich, dass die beiden sich fest an den Händen halten. Sie lassen einander auch nicht los, wenn einer sich in die andere Richtung umwendet oder ans
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