Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition)
wurde ich doch ein wenig mutlos, und so fragte ich den Wiener Burgschauspieler Helmut Lohner, der zufällig im Hotel logierte, ob er mir einen Rat geben könne, wie ich die Sache über die Bühne bringen könnte, ohne total zu scheitern. Den wusste er auch: »Machen Sie, was Sie können. Versuchen Sie nicht, ein gelernter Sänger zu sein.« Hinzu fügte er: »Vor allem bleiben Sie Sie selbst, dann wird es gutgehen.« Diese Worte waren mir wahre Beruhigungstabletten.
Nun wurde jeden Tag geübt. Der besagte Abend kam, ich sang und siegte.
Der Gastgeber beteuerte hinterher, es sei der schönste Vortrag von allem gewesen, was man ihm an diesem Abend an Reden, Toasts und anderen Darbietungen geboten habe – vor allem aber nicht zu lang. Gattin Brigitte hatte Tränen in den Augen. Ob vor Rührung oder Verzweiflung habe ich nie hinterfragt. Mehr kann man nicht verlangen. Auch mir selbst hatte es nebst Aufregung und Lampenfieber enormen Spaß gebracht. Sollte es das erste und letzte Mal gewesen sein? Nein!
Es war der Anfang.
Vorbereitungen und Premiere
Moritz Gogg, ein Landsmann aus Graz, ist Bariton und Ensemblemitglied der Hamburgischen Staatsoper. Anlässlich eines seiner Besuche mit seinem Mentor im Grill fragte ich ihn, ob er nicht Lust hätte, in diesem schönen Restaurant zusammen mit mir einen Wiener Liederabend zu veranstalten – dort, wo ich jeden Tag Gäste betreute und verwöhnte und wo mich so viele kannten. Er war von der Idee sofort begeistert, und so entwickelten wir den Plan, alternierend zu singen. Ich, wie es ein Laie kann, und er mit seiner ausgebildeten Kunststimme. Zusätzlich verpflichteten wir Daniel Sarge, Pianist, ebenfalls an der Hamburgischen Staatsoper, und mit Moritz gut befreundet. Direktor Peters gab zu meinem Vorhaben grünes Licht, mit den Worten: »Sie können alles machen, solange Sie uns nicht blamieren.« Das hatte ich auch nicht vor. Aber wer ist schon gegen Blamagen gefeit?
Jetzt gab es viel zu tun. Als Erstes mussten die Einladungen gemacht werden, damit sie die Empfänger beizeiten erreichten. Ich gab mir Mühe, jeder Einladung auch einen persönlichen Charakter zu verleihen, indem ich immer Handgeschriebenes hinzufügte. Um möglichen Enttäuschungen vorzubeugen, sollte außerdem entsprechend »vorgewarnt« werden. An der Alster Wienerlieder zu präsentieren ist ja doch ein kleines Risiko.
Auch bedurfte es einer unterhaltsamen Liederauswahl. Zwischentexte mussten überlegt werden. Es war vorgesehen, auf jeden Menügang 25 Minuten musikalischen Vortrag folgen zu lassen. Das Ganze durfte nicht zu lang sein, und der Zuhörer musste immer im Visier bleiben. Ich wusste, sobald sich die Gäste nicht gut genug unterhalten fühlten, würde ich weggezappt. Das wollte ich nicht, das wollten wir nicht. Menüfolge, Weine und Dekoration mussten ausgesucht werden. In die Speisen- und Programmkarte hatte ich auf der linken Seite die Liederfolge drucken lassen, auf der rechten die Gänge und Weine und auf der Rückseite eine Übersetzung der Wiener »Fremdwörter«. Das stellte sich allerdings als ein Fehler heraus, weil die Gäste nun andauernd auf die Übersetzungen schauten und nicht mehr zuhörten. Multitasking war heute Abend nicht angesagt. Es sollte schließlich ein richtig wienerischer Abend werden.
Das Schwierigste aber war das Placement der Gäste. Wer kann mit wem am Tisch sitzen? Das bereitete mir nicht wenig Kopfzerbrechen. Ich erinnere, dass mir gleich am ersten Abend ein Malheur passierte. Ich setzte ein Ehepaar ausgerechnet an denselben Tisch, an dem auch die erste Frau des Herrn Gemahls saß. Das ging in diesem Fall ganz und gar nicht. Ein anderes Mal hatte ich, wie immer, Tischkarten verteilt und einem Gast einen Tisch für zwei gegeben. Er wollte entre nous sitzen. Die Dame, mit der er öfters im Grill war, hieß Renate. Also beschriftete ich die Plätze mit »Hans« und »Renate«. Als die Gäste sitzen, gibt die Dame mir die Namenstafel mit den Worten: »Herr Nährig, das ist der Name seiner Freundin. Ich bin seine Frau und heiße Anne.«
Um genügend Gäste unterbringen zu können, machte ich größere Tische. In der Regel nicht kleiner als für sechs Personen, damit sich in den Pausen, während des Essens, eine Unterhaltung entfalten konnte. Hätte ich Vierertische gemacht und unwissentlich zwei Ehepaare zusammengepfercht, die sich nicht leiden konnten, hätten sowohl ich als auch sie ein Problem gehabt, und der Abend, der doch ein schöner sein sollte, wäre
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