Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition)
machen.« Er antwortet: »Genau, wenn einer in Hamburg das lösen kann, dann Sie.« Das macht mich gleich ein Stück größer. Schließlich weiß ich, dass der Herr mit derartigen Komplimenten nicht gerade großzügig ist. »Wir sind eine sehr illustre Gesellschaft und benötigen eine ganz spezielle Sorte Zigarren. Wenn sie jemand beschaffen kann, dann nur Sie.« Nach einer kurzen Pause fügt er noch hinzu: »Sie sind der Doyen der Hamburger Oberkellner.« Das ist doch ein gutes Wort im alten Jahr. Natürlich vermochte ich den Zigarren-Engpass der Herren zur ihrer größten Zufriedenheit zu beheben, noch lange bevor mitternachts die Champagnerkorken knallten.
Nach dem Hauptgericht, etwa gegen elf, bemerke ich bei einigen Gästen leichte Ermüdungserscheinungen. Das ist ein Signal für mich, ich muss aktiv werden. Also gebe ich dem Pianisten ein Zeichen, und er begleitet mich zu »Tauben vergiften im Park« und einem zweiten Wienerlied: »Schön ist so ein Ringelspiel«. Das wirkt. Danach sind alle wieder munter und fidel. Diese kleinen Liederdarbietungen waren im Laufe der Jahre zu einem festen Bestandteil des Abends geworden. Manche Gäste fragten schon bei der Ankunft, ob ich denn wieder etwas zum Besten geben würde. Da ließ ich mich immer bitten. Das habe ich ausgekostet.
Um Mitternacht geht dann Direktor Peters zusammen mit seiner charmanten Frau Christiane durch alle Räumlichkeiten und wünscht Gästen wie Personal ein gutes neues Jahr, wobei er stets keinen, auch nicht den kleinsten Mitarbeiter, vergisst. Das hat Stil. Eine Geste, die ich sehr schätzte und über die ich mich immer freute.
Um vier Uhr früh war meist Schluss. Nach Hause ins Bett. Um zwölf ist Mittagessen angesagt. Wann schlafen die Gäste?
Der Herrgott hat mir wieder ein schönes Jahr geschenkt.
Ein Bankier ohne Geld
Ein Abend vor über dreißig Jahren. Meine Anfangszeit im Grill. Es ist schon spät. Dreiviertel eins in der Nacht. Die drei feinen Herren im eleganten Nadelstreif sitzen immer noch bei höchst angeregtem, nimmer enden wollendem Gespräch. Stammgäste seit vielen Jahren. Einer davon seit Generationen. Es wird viel Kluges diskutiert und viel Gutes getrunken. Im Gegensatz zu den Gästen werde ich allmählich müde.
Endlich das rettende Signal: »Die Rechnung bitte.« Gewünschtes Papier kommt und bleibt unbeachtet am Tisch liegen. Keiner der Herren macht Anstalten, den Betrag zu begleichen. Der »Zahlteller« wird von links nach rechts gerückt und wieder zurück. Ein jeder versucht ihn dem anderen zuzuschieben, in der Hoffnung, er werde sich der nicht unbeträchtlichen Summe erbarmen. Doch nein, nichts, keiner ist gewillt – oder fähig? –, den schnöden Mammon auf den Tisch zu legen. Aus dem Augenwinkel beobachtend sehe ich, dass jeder möglichst unauffällig, die anderen sollen es nicht merken, in seiner Brusttasche nach dem Portemonnaie oder zumindest ein paar Geldscheinen sucht. Erfolglos. Keiner wird fündig. Mir wird etwas bang, weil ich erst kurz im Hotel beschäftigt bin und die Herren nicht so gut kenne. Lediglich der dunkelhaarige, charismatische, adrette Bankier Max Warburg ist mir persönlich bekannt. Er war schon des Öfteren mit seinem Vater im Restaurant zu Gast und ist eine sehr honorige Persönlichkeit der Stadt. Mein Gedanke: Wenn sich wirklich gar niemand zum Zahlen findet, werde ich mich an den halten. Er ist Bankier, und Bankiers – dachte ich damals – haben immer Geld. Zu jener Zeit, Jahrzehnte vor Euro- und Bankenkrise, war es auch noch so. Das hat sich bekanntlich leider ins Gegenteil verkehrt: Damals zahlten die Bankiers, heute bekommen sie Rettungspakete.
Endlich das erlösende Wort von Herrn Warburg. Erlösend, auch wenn es mich endgültig in den Abgrund stürzt: »Herr Ober, wir haben kein Geld.«
Na, wenigstens hatte er »Herr Ober« gesagt. Ja, dachte ich damals, das ist feine Hamburger Noblesse. Beruhigte mich fürs Erste. Anschließend fragte er: »Könnten Sie mir die Rechnung ins Bankhaus Warburg schicken?« Dann zog er einen edlen Füllfederhalter aus der Tasche und sagte: »Ich werde sie unterschreiben und mit Anschrift versehen.« Er sprach so vertrauensvoll, dass ich spürte: Keine Panik, es geht alles gut. Auch mit einem Bankier, der kein Geld hat. Im Übrigen war die Zahlung via Rechnung per Post damals in feinen und guten Hotels wie dem Hotel Vier Jahreszeiten nichts Ungewöhnliches und wurde von hausbekannten Gästen immer wieder in Anspruch genommen.
Trotz oder gerade
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