Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition)
das! Wie fühlte man sich wohl! Leider wurde Frau Schröder krank. Sie bekam einen eitrigen Großzeh am linken Fuß, der nicht heilte, und verkaufte das Geschäft an einen türkischen Gemüsehändler. Bald gab es die gewohnten Waren nicht mehr. Zuhauf Oliven aller Art, Fetakäse und Fladenbrot. Nicht mein Geschmack. Zu allem Unglück wurden die guten Schröders auch noch um einen Teil der vereinbarten Kaufsumme betrogen. In der kleinen Welt ist es wie in der großen: Anständige Leute werden von unanständigen übers Ohr gehauen.
Zurück zu meiner Brötchenmission für Slava. Die Antwort der Wurstverkäuferin auf meine erneute Frage war wieder dasselbe scharfe »Nein!«, diesmal mit dem Zusatz: »Ich habe kein Messer.« Auf einem weißen Kunststoffschneidebrett auf der anderen Seite der Glasvitrine lagen zwei Messer, beide mit einem orangefarbenen Griff aus Plastik und einer etwa zwanzig Zentimeter langen Klinge versehen. Dennoch verkniff ich mir einen entsprechenden Hinweis. Es hätte sie vielleicht in Antwortnot gebracht, und das wollte ich ihr nicht antun.
Nun überraschte sie mich mit den Worten: »Wenn Sie hinausgehen, gleich nebenan gibt es eine Bäckerei und die verkaufen belegte Brötchen.« Für diesen Hinweis bedankte ich mich sehr. Inzwischen war kostbare Zeit vergangen, und ich musste um zehn vor zehn mit dem Reiseproviant am ZOB sein. Ich hatte es Slava versprochen, und sie verließ sich darauf.
Im Bäckerladen, die Filiale einer Bäckereikette, waren zwei Kunden mit allerlei Wünschen vor mir. Die Zeit drängte. Schon halb zehn. Endlich war ich dran. Die Verkäuferin, ein junges Mädchen mit kurzem, blond gefärbtem Haar, worunter am Haaransatz etwa zwei Zentimeter lang das nachgewachsene natürlich dunkle Haar zu sehen war, kommandierte mit spitzem Mund: »Hallo … der Nächste!« Etwas zaghaft, weil ich keine belegten Brötchen in der Vitrine liegen sah – vielleicht sind sie ja im Kühlschrank? –, tat ich mein Begehr kund: »Ich hätte gern vier belegte Brötchen.« Worauf sie mir in der gleichen knappen Tonlage wie bei »Hallo« und »Der Nächste!« mitteilte: »Haben wir keine.« Mein Gott, was mache ich nur, schoss es mir durch den Kopf, dann riskierte ich es, beharrlich zu bleiben: »Die Verkäuferin an der Wursttheke im Supermarkt nebenan sagte mir, bei Ihnen bekäme ich belegte Brötchen.« Nun ging sie zum Gegenangriff über. »Heute sind keine gekommen, und ich habe keine Zeit, welche zu machen, da hab ich nichts mit zu schaffen.« Das hatte gesessen.
Wie ein Blitz kam es da über mich, dass um die Ecke eine Fleischerei war. Ein Familienbetrieb, da würde ich die Wurstsemmeln bekommen. Ich sprintete in freudiger Erregung los. Beim Geschäft angekommen, sah ich an der Innenseite der Glastür einen Zettel: »Liebe Kunden, wegen eines Trauerfalls bleibt unser Geschäft bis morgen geschlossen. Wir bitten um Ihr Verständnis.« Nun ja, diesmal hatte ich kein Verständnis.
Jetzt musste ich zum Semmelkauf zurücklaufen in die Kettenbäckerei. Dort würde ich die blondgefärbte, spitzmündige Verkäuferin, der man deutlich von der Stirn ablesen konnte: »Ich hab’s ja gar nicht nötig«, bitten müssen, mir die Semmeln in der Mitte durchzuschneiden, mit denen ich dann wieder in den Supermarkt flitzen würde, um bei der Verkäuferin mit den Wülsten und den dunkelroten Fettpickeln den nötigen Wurstbelag zu erwerben, damit ich schließlich in der S-Bahn Wurst und Semmeln selbst zu den gewünschten Wurstsemmeln vereinen konnte. Ich hatte Glück, es war niemand sonst in der Bäckerei.
Nach dem monotonen »Hallo« wartete ich »Der Nächste!« gar nicht erst ab, bat um vier Semmeln und forderte in gedämpftem Befehlston, ich ging aufs Ganze: »Bitte schneiden Sie mir die Semmeln in der Mitte durch!« Die Blondine war so verdattert, dass sie rückfragte: »Längs oder quer?«, worauf ich wie ein Sieger antwortete: »Dreimal dürfen Sie raten.«
Die letzte Etappe schaffe ich auch noch. Bei der dicken Wursttante angekommen, verlässt mich dann doch wieder der Mut und ich biege nach links zu den abgepackten Fleischwaren ab. Nehme im Vorbeigehen drei verschiedene Plastikpäckchen, beim nächsten Regal sodann fünf Tafeln Schokolade, eine große Flasche Limonade und Mineralwasser, zwei von den überreifen, schon mit braunen Flecken übersäten Bananen, und ab zur Kasse, bei der ausnahmsweise keine Rentnerin steht, die mit zittrigen Fingern das passende Kleingeld sucht.
Ich war noch just in time .
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