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Gerron - Lewinsky, C: Gerron

Titel: Gerron - Lewinsky, C: Gerron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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neuen Wagen kommen sollte. Mit dem Bezahlen hat es der Brecht nicht so, schon eher mit dem Kassieren. Seinen Steyr hatte er für ein Gedicht bekommen. Ein wirklich gutes Zeilenhonorar. Er hat uns die Verse einmal in der Kantine rezitiert, so stolz war er darauf. Wir wiegen: Zweiundzwanzig Zentner. Unser Radstand beträgt: Drei Meter. Und so weiter und so weiter. Ein Meisterwerk moderner Lyrik. Nun hatte er aber seinen so erschriebenen Straßenkreuzer irgendwo beiFulda gegen einen Baum gesetzt. Totalschaden. Ein zweites Gedicht würden sie ihm nicht abnehmen.
    Dem Brecht fällt immer etwas ein. Wenn er diesen Film drehen müsste und nicht ich, er würde einen Weg finden, es so zu tun, dass ihn die Leute noch dafür bewundern.
    Damals organisierte er sich eine Photo-Reportage im Uhu und stellte dort den Unfall nach. So, wie es für ihn gut aussah. Ein anderer war schuld gewesen – bei Brecht ist immer ein anderer schuld –, der war ihm auf der falschen Straßenseite entgegengekommen, und darum hatte er den Wagen ganz absichtlich und in kühler Überlegung gegen den Baum gelenkt. Weil er ja wusste: Ein Steyr-Wagen ist so solide gebaut, dass dem Fahrer selbst in den gefährlichsten Situationen nichts passieren kann. Wovon die Werbeabteilung so begeistert war, dass sie ihm tatsächlich noch einmal ein Auto schenkten.
    Wer mit solch wichtigen Sachen beschäftigt ist, hat natürlich keine Zeit, Stücke zu schreiben. Vor allem, wenn er sich gerade frisch zum Kommunismus bekehrt hat und nächtelang über Marx und Engels diskutieren muss. Ständig brachte er irgendwelche Parteileute zu den Proben mit, damit sie uns erklärten, wie man in Moskau Theater spielt. «Es soll dort ja eine äußerst revolutionäre Entwicklung geben», habe ich einmal gesagt. «Sie schreiben die Stücke zu Ende, bevor sie Schauspieler damit belästigen.» Das fanden sie überhaupt nicht komisch.
    Ob er aus Mode so klassenkämpferisch geworden war oder aus Überzeugung – beim Brecht war das schwer zu unterscheiden. Es ging ihm nicht um den eigenen Vorteil. Nicht wie bei all den Leuten, die nach der Machtübernahme ihre braune Seele entdeckten. Das ganze Ich bin ein Arbeiter -Gehabe war einfach eine Rolle, die er für sich erfunden hatte und jetzt mit vollem Einsatz spielte. In Kostüm und Maske. In Berlin erzählte man sich, er habe zu Hause eine kosmetische Maschine stehen, die ihm jeden Morgen frischen Dreck unter die Fingernägel stopfe. Damit er auch wirklich echt proletarisch aussah.
    An der Premiere marschierte die Weigel ungeprobt an die Rampeund brüllte Parteiparolen ins Parkett. Was ist ein Überfall auf eine Bank gegen die Gründung einer Bank und solcher Kram . Womit der Reinfall endgültig gesichert war.
    Ganze vier Vorstellungen.
    Egal. Das Stück hätte ohnehin keine Chance gehabt.
    Für mich hatte der Brecht einen Gangster geschrieben, der sich bei Überfällen als Frau verkleidet. Warum, das wusste keine Sau. Es wurde im Stück auch nirgends erklärt. Der Brecht machte sich schon lang nicht mehr die Mühe, über seine Einfälle auch noch nachzudenken. Der Lorre hatte sich engagieren lassen, weil er bei der Dreigroschenoper im falschen Moment ausgestiegen war und diesmal den Erfolg nicht verpassen wollte. Dem konnte auch keiner erklären, warum seine Rolle ein Japaner sein musste. Aber der Peter hatte es gut: Seine Figur wurde schon im ersten Akt erschossen.
    Das war eine Gefälligkeit vom Brecht. Weil der Lorre nämlich gleichzeitig auch noch an der Volksbühne den Saint-Just spielte. Kaum war er bei uns tot, hüpfte er im vollen Kostüm in eine Taxe. Bis die am Bülowplatz ankam, hatte er sich umgeschminkt und umgezogen. Jeden Abend. Vom Gangster-Chicago ins Revolutions-Paris. Im Theater ist alles möglich.
    Meine Figur kam im dritten Akt immer noch vor. Das war Pech. Denn der Brecht hatte vergessen, die Rolle auch weiterzuschreiben. Ich war ständig auf der Bühne, aber mein Text hätte auf eine Briefmarke gepasst. Ein besserer Statist war ich. Der Arsch vom Dienst.
    Bei einer der Endproben, die wieder alle bis in den frühen Morgen dauerten, kam es dann zum großen Krach. Der Brecht hatte, wie das seine Art war, die Regie an sich gerissen und mischte sich in alles ein. Wollte den Bühnenarbeitern erklären, wie man eine Kulisse festschraubt. Irgendwann bin ich durchgedreht. «Sie hätten ein Stück schreiben sollen, anstatt sich hier auf der Bühne auszuscheißen», habe ich zu ihm gesagt. Er ging auf mich los, als ob ich an dem

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