Gerron - Lewinsky, C: Gerron
das Frühstück. Kaffee. Orangensaft. Frische Semmeln. Zwei Eier im Glas.
Ha ha ha. Ich bin ja so komisch.
Rübenkaffee. Ein Stück Brot für sie, ein Stück Brot für mich. Es ist ein Privileg, dass ich mich nicht jedes Mal selber anstellen muss. Ich bin ein A-Prominenter. Eine große Nummer.
XXIV/4-247.
Wir hatten unseren Aufstieg gemeinsam, die Nazis und ich. Ich wurde berühmt, sie kamen an die Macht. Das eine war schuld, dass ich das andere nicht bemerkt habe.
Ich müsste nicht in Theresienstadt hocken. Nicht sehnsüchtig auf ein klebriges Brot warten. Nicht vor Rahm Männchen bauen. Ich müsste keinen Film drehen, den ich nicht drehen will.
Ich müsste nicht hier sein, und Olga müsste nicht.
Aber ich war ja zu beschäftigt, um mir rechtzeitig Gedanken zu machen. Ich war ja ein Star. Ein eitles Starschloch. Die Zeichen waren dick und deutlich an der Wand, aber ich hatte ja keine Zeit, sie zu lesen. Ich musste ja Autogramme geben.
Meine kleinen Scherze musste ich machen. Nichts kapiert undso getan, als ob ich alles wüsste. «Wo ist denn meine Leibstandarte?», habe ich durchs Atelier gerufen. «Wo ist denn meine kleine SA?» Ich war ja so witzig. Ha ha ha.
Ein Auto musste ich haben. Die besten Zigarren. Wenn bei Rot-Weiß das Tennis-Finale war, musste ich dabeisein. Ich war ja berühmt.
Darum hockt mein berühmter Arsch jetzt in diesem Loch. Weil ich vor lauter Schauspielereitelkeit das Stichwort für den Abgang verpasst habe.
Weil ich Politik für ein Gesellschaftsspiel gehalten habe. Das Spiel einer Gesellschaft, zu der ich nicht gehörte. Wenn sie mit ihren Lastwagen durch die Straßen fuhren und Parolen brüllten, betraf mich das nicht. Die Leute mit den blutigen Köpfen waren nicht meine Freunde. In den Lokalen, in denen ich verkehrte, gab es keine Saalschlachten.
Ich bin selber schuld.
Dabei habe ich Medizin studiert. Wo man mir eingetrichtert hat, dass man Symptome frühzeitig erkennen muss. Bevor sie unheilbar werden. Ich habe nicht hingesehen und nicht hingehört. Dabei hätte man bloß Zeitung lesen müssen. Aber mich interessieren ja nur die Theaterkritiken.
Jetzt ist die Epidemie ausgebrochen. Vielleicht werde ich daran sterben. An der Politik verrecken. An einer Weltanschauung, die sich nicht darum schert, auf wie vielen Plakaten mein Name gestanden hat. Die mir diesen Namen nicht einmal zugesteht. Gerron? Kennen wir nicht. Wir kennen nur einen Kurt Israel Gerson.
Weltanschauungen sind Seuchen. Die Leute stecken sich gegenseitig an. Meistens ist es ja auch nicht schlimm. Neunundneunzig Mal repariert der Körper sich selber. Nur ein bisschen Fieber, ein kleiner Husten, und die Sache ist ausgestanden. Aber beim hundertsten Mal …
Man hätte es merken können. Spätestens bei Happy End , als der Brecht und die Weigel plötzlich so gläubig wurden. Natürlich, das waren nun die von der anderen Seite. Aber die Krankheit war dieselbe. Akute Weltverbesserungssucht. Die einen kriegen denbraunen Ausschlag, die anderen den roten. Der Nährboden ist derselbe.
Genau derselbe.
Dabei hat der Aufsicht an Politik überhaupt nicht gedacht. Nur an den Umsatz an der Theaterkasse. Der Brecht schreibt mir wieder ein Stück, war seine Überlegung, der Weill komponiert ein paar neue Songs, dann haben wir die Dreigroschenoper noch mal, und die Leute stehen Schlange. So stellte er sich das vor.
Happy End . Einen falscheren Titel hätte man nicht finden können. Nicht für die Inszenierung. Es fing schon damit an, dass der Brecht gar keine Lust hatte, noch mal so was zu schreiben. Das einzige, was ihn an dem Projekt interessierte, waren die Tantiemen, und so delegierte er den Auftrag. Er war damals schon mit der Weigel verheiratet, aber seinen Schreiberinnen-Harem führte er trotzdem weiter. Die Hauptmann, die die Arbeit machen sollte, war ein wirklich netter Mensch, aber keine große Dichterin. War mit dem, was sie ablieferte, selber nicht zufrieden und versteckte sich hinter einem Pseudonym.
So hatten wir also ein Stück von einer Autorin, die es nicht gab, geschrieben von einer andern, die es nicht konnte, und verantwortet von einem Großdichter, der sich nicht die Zeit nahm, etwas daran zu tun. Begannen mit den Proben, als der letzte Akt noch gar nicht existierte. Der Aufricht musste mit allen Tricks arbeiten, um dem Brecht immer mal wieder ein paar Seiten zu entlocken. Der war damals mit einem anderen Problem beschäftigt, das ihm viel wichtiger war: mit der Frage, wie er kostenlos zu einem
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