Gerron - Lewinsky, C: Gerron
Wetter, natürlich. Wenn Otto Burschatz heiratete, konnte es gar nicht anders sein. Er hatte bestimmt auch in der Abteilung Petrus einen Kontakt sitzen, dem er mal einen Gefallen getan hatte und der sich jetzt mit strahlendem Sonnenschein revanchierte. Vor der Laube ein langer Tisch. Eigentlich nur ein paar aufgebockte Bretter. Aber das weiße Tischtuch war aus Damast, und das Geschirr hätte jedem guten Lokal wohl angestanden. Es stammte auch aus einem guten Lokal. Ein Requisiteur hat überall Beziehungen.
Die Stühle hatten alle schon bessere Tage gesehen. Nur für seine Braut hatte er einen bequemen Sessel hergeschafft. Ein Prunkstück, das schon in manchem Film eine Millionärsvilla geziert hatte. In dem hätte sich bestimmt auch sehr angenehm gesessen, nur hatte Otto – Liebe macht blind – die Höhe falsch berechnet. Nicht bedacht, dass seine Hilde, genau wie er selber, doch eher klein gewachsen war. Als sie sich hinsetzte, war über der Tischkante gerade noch das schicke Hütchen zu sehen, das sie sich für ihren großen Tag gekauft hatte.
Alles lachte. Ein gutes Gelächter. Kein künstliches Höflichkeitsgemecker. Nicht das Gebrüll von Leuten, die meinen, sie seien lustig, wenn sie nur laut sind.
Es gibt so viele Tonarten, in denen gelacht werden kann. Das Ach, wie sind Sie witzig, mein Herr -Kichern, wenn er Geld hat und sie welches braucht. Das hingehustete Hahaha , wenn man zeigen will, dass man den Witz verstanden hat, ihn aber geschmacklos findet. Das fette Blubbern, mit dem die Schieber an den teuren Tischen eine Schweinigelei quittieren.
In Westerbork hatte das Gelächter aus den ersten zwei Reihenimmer einen herablassenden Beigeschmack. Als Max Ehrlich in dem Schallplattensketch Hans Albers imitierte – er machte das zwerchfellerschütternd –, da lachten die SS-Leute zwar, aber so, als ob sie ihn nicht wirklich komisch fänden. Nur possierlich. Ein Hündchen, das auf den Hinterbeinen geht. Ein verletzendes Gelächter. Und doch schmeichelten wir alle schwanzwedelnd um sie herum und bettelten um die Chance, auch einmal ein Kunststück vorführen zu dürfen.
Ich will nicht an Westerbork denken.
Ottos Hochzeit.
Die Hochzeitstafel stand auf einem schmalen Rasenstreifen. In den Beeten auf beiden Seiten war die Erde weich. Wenn man mit seinem Stuhlbein da hineingeriet, kippte man nach hinten weg und landete im Salat. Der Vater der Braut lag mitten im Gemüse auf dem Rücken, zappelte mit den Beinen wie ein Maikäfer und konnte sich über die Komik der eigenen Lage gar nicht beruhigen.
Das Gelächter ganz ohne Schadenfreude.
Das Fest war einfach. Es war einfach. Kein französischer Champagner. Kein Büffet von Rollenhagen. Man trank Weiße mit Strippe. In einem alten Ölfass brannte ein Feuer, über dem Würste brutzelten. Nichts, was bemerkenswert gewesen wäre. Trotzdem, deshalb ist dieser Nachmittag eine meiner liebsten Erinnerungen.
Dann wurde gesungen. Jeder kam reihum dran. Olga überraschte uns mit einem plattdeutschen Seemannslied. Ich weiß nur noch eine Zeile: De Masten so scheef as den Schipper sien Been . Als ich an der Reihe war, sagte Otto: «Nicht dein Haifischlied, Gerson. Etwas zum Mitsingen.» Das klang grob und war doch feinfühlig. Er wollte mir ersparen, den Prominenten machen zu müssen.
Ich sang dann etwas, das ich aus einer Revue kannte, ich weiß nicht mehr aus welcher. Wenn die Igel in der Abendstunde , sang ich, und wenn es zum Schluss jedes Verses hieß Anna-Luise , dann versuchte einer den anderen zu überbrüllen.
An jedem anderen Fest hätte man nach dem Mackie-Messer-Song geschrien. Wenn ich in die Hölle komme – Warum nicht? Ich habe dafür geübt –, wird man auch dort diese gottverdammtenStrophen von mir verlangen. Ich werde mich nicht weigern können. Wo ich sie schon gesungen habe, das war schlimmer als die Hölle.
Man müsste noch einmal in so einem Schrebergarten sitzen. Nur noch ein einziges Mal. Mit Leuten, die man gar nicht richtig kennt und trotzdem mag. Man müsste noch einmal unwichtig sein und trotzdem akzeptiert. Man müsste … Man müsste …
«Bitte saubermachen. Bitte saubermachen. Bitte saubermachen.» Ich glaube, Turkavka schläft nie.
Ich habe geträumt, aber ich weiß nicht mehr, was es war. Nur den Geschmack davon habe ich immer noch im Mund. Das Gefühl, das zu dem Traum gehört: Ich bin am falschen Ort und werde ganz dringend woanders gebraucht.
Kein sehr originelles Gefühl. Wir sind hier alle am falschen Ort.
Olga holt
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