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Gerron - Lewinsky, C: Gerron

Titel: Gerron - Lewinsky, C: Gerron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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hinzukriegen, müsste man eine Maschine haben.
    Einen Spiegel besitzen wir nicht. Sie geht die Treppe hinunter, um sich in der Wassertonne zu betrachten, die der alte Turkavka bewacht. «Ich sehe aus wie ein Igel», sagt sie, als sie zurückkommt.
    «Tut mir leid.»
    «Igel haben es gut», sagt sie. «Die fasst keiner an.»
    Aus dem Bündel, auf dem sie in der Nacht schläft, holt sie ein Kopftuch und bindet es sich um. «Mach nicht so ein Gesicht», sagt sie. «Man tut, was man tun muss.»
    Nickt mir zu und geht zu ihrer Arbeit. Saubermachen bei den Dänen.
    Man tut, was man tun muss.
    Auf dem Absatz über der Treppe liegen Olgas Haare.
     
    Wenn man anfängt, Fragen zu stellen, hat man schon verloren. Man muss nehmen, was sich einem bietet. Darauf scheißen, was die andern von einem denken. Alle wirklich erfolgreichen Menschen, die ich kenne, sind Egoisten.
    Der Jannings, mit seinem Bauch. Mit dem er alles zur Seite schiebt, was seiner Karriere im Weg steht. Überlebensgroß, der Kerl. In Amerika haben sie ihn zum besten Schauspieler der Welt erklärt.
    Aber dann wurde der Sprechfilm erfunden, und wegen seines Akzents kriegte er bei der Paramount plötzlich keine Helden mehr angeboten. Nur noch Charakterrollen. Sonst wäre er wahrscheinlich drüben geblieben. Wo die Gagen in Dollars bezahlt werden. Hätte sich eine Villa am Meer gebaut. Im größten Zimmer sein eigenes Porträt aufgehängt. Einen Hausaltar davor aufgestellt, zur täglichen Selbstanbetung. Er findet sich toll und hat ja auch allen Grund dazu. Das Gemälde hing dann in seiner Berliner Wohnung – «Emil Jannings in Essig und Öl», sagte Otto –, und wer ihn besuchen kam, musste es bewundern.
    Seinen eigenen Regisseur hatte er sich aus Hollywood mitgebracht. Den Sternberg. Oder von Sternberg, wie er sich jetzt nennt. Mit dem hatte er Sein letzter Befehl gedreht, diesen Film, der in Amerika so viel Umsatz gemacht hat. Mir hat er ja nicht gefallen. Viel zu vorhersehbar, dass der Jannings als russischer General am Schluss dramatisch sterben würde.
    Ich habe nie verstanden, warum die Leute es mögen, wenn der Hauptdarsteller auf den letzten Filmmetern abnibbelt. Ich stecke in so einem Drehbuch fest und würde gern zur Kinokasse gehen und mein Geld zurückverlangen. Den Kassierer fragen: «Wo, bitte sehr, läuft ein Gerron-Streifen mit Happy End?»
    Alle erwarteten damals, dass sich der Jannings bei der Ufa eine Heldenrolle aussuchen würde. Nach dem Danton und dem Nero wieder so eine Weltgröße. Aber er kam zur Überraschung des ganzen Gewerbes mit einer Figur an, die überhaupt nicht zu ihm passte. So was von überhaupt nicht, dass alles schon von einem todsicheren Reinfall sprach. Noch bevor überhaupt ein Drehbuch geschrieben war. Der Jannings, dieser Kraftbolzen, wollte einen Schwächling spielen, einen faden Gymnasialprofessor, der einer Tänzerin hörig wird und sich dabei ruiniert. Hatte auch schon dem Heinrich Mann die Rechte an der Geschichte abgekauft. Mir war nicht klar, was ihn daran reizte. Höchstens, dass die Rolle ein bisschen ähnlich ist wie sein russischer General: Am Anfang des Films kommandiert er allmächtig herum, und am Ende kann man nur noch Mitleid mit ihm haben. Vielleicht hatten ihm seine Erfolge in Amerika den Geschmackverdorben. Oder er war ein Genie und hatte eine bessere Nase für Stoffe als wir alle zusammen. Oder alles gleichzeitig. Auf jeden Fall war er Egoist genug, um durchzusetzen, was er wollte.
    Genau wie die Marlene. Die denkt auch immer nur an sich selber. Geht für ihre Karriere mit dem Kopf durch jede Wand. Pfeift auf den guten Ruf. Hat sich schon wie ein Star aufgeführt, als sie noch gar keiner war. Weil Berlin so war, wie es damals war – heute, nehme ich an, ist dort alles nur noch grau in grau und braun in braun –, hatte sie beschlossen, verrucht zu sein. Was gar nicht zu ihr passte. Sie war eine höhere Tochter, und zwar eine echte, nicht wie Mama eine nachträglich angelernte. Aber sie machte auf ganz wild. Setzte sich ohne Schlüpfer ins Café oder sorgte doch dafür, dass sich rumsprach, sie hätte ohne Schlüpfer dagesessen. Ließ sich ständig etwas Neues einfallen, um im Gespräch zu bleiben. Wie die Lesbennummer, die sie so demonstrativ abzog. Mir ist nie klargeworden, ob mehr dahintersteckte, als dass sie in einem Smokingjackett gut aussah.
    Manchmal gingen ihre Werbeaktionen auch schief. Ich erinnere mich an ein Zeitungsphoto – bei Marlene waren immer ganz zufällig Photographen vor Ort

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