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Gerron - Lewinsky, C: Gerron

Titel: Gerron - Lewinsky, C: Gerron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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kann auch in den nächsten Zug nach Auschwitz steigen. Ganz wie ich will.
    R. U. Rückkehr unerwünscht. So ein Angebot muss man erst mal kriegen.
    Als Prophet sind Sie nicht begabt. Als wir uns in Paris ein letztes Mal begegneten, beide aus Deutschland vertrieben und beide auf der Suche nach einer neuen Heimat – ach was, Heimat, nach irgendeinem Ort, wo man sein konnte –, als Sie mich auf der Terrasse sitzen sahen, vor einem dieser Cafés, wo man sich für den Preis eines Mokkas den Stuhl für den ganzen Nachmittag mietet, da haben Sie den Kopf geschüttelt und zu Ihrem Begleiter gesagt, haben es absichtlich so laut gesagt, dass ich es hören musste, haben gelacht und gesagt: «Diesen riesigen Haufen Scheiße kann nicht einmal ein Hitler wegschaufeln.»
    Sie haben sich geirrt, Herr Brecht. Er schaufelt schon.
     
    Ich habe mein Brot verschlungen, dabei müsste es für den ganzen Tag reichen. Es reicht nie für den ganzen Tag. Nicht bei mir.
    Olga hat die Hälfte übriggelassen, wie immer. Hat sie auf das kleine Tuch gelegt, das sie sich dafür organisiert hat, hat die Ecken sorgfältig miteinander verknotet, wie für ein Geschenkpaket, und das Ganze in der unteren Margarinekiste verstaut. Immer in der unteren. Die Hemmung ist größer, wenn man erst die eine Kiste abheben muss, bevor man in die andere hineinfassen kann. So versucht sie, meine Gier zu überlisten.
    Das gesparte Brot wäre ihr Abendessen, könnte die ekelhafte Suppe essbarer machen, aber sie wird es mir anbieten wie jeden Tag. «Ich habe keinen Hunger», wird sie lügen.
    Ich werde ein schlechtes Gewissen haben, ich werde mich weigern, und dann werde ich das Brot essen. Ich habe keinen starken Charakter.
    Jetzt wird sie mich fragen, ob ich mich entschieden habe, denke ich. Aber Olga ist klüger als ich. Sie nimmt meine Hand undsagt: «Komm mit hinaus auf die Treppe. Du musst etwas für mich tun.»
    Es gibt da eine Stelle, auf dem kleinen Absatz über der obersten Treppenstufe, wo man durch ein Dachfensterchen den Himmel sehen kann. In Mondnächten sitzen wir manchmal dort und nennen es unsere Terrasse . Es ist die einzig helle Stelle; sonst muss man sich den Weg hinunter zu den toten Betten auch am Tag im Dunkeln ertasten. Muss blind wissen, wo die eine Stufe fehlt.
    Olga sitzt jetzt dort auf dem Boden, an unserm Platz, sitzt im Sonnenviereck wie in einem abgekaschten Scheinwerferkegel. Streckt mir eine Schere hin. Ich weiß nicht, wo sie die ausgeliehen hat.
    «Schneid mir die Haare ab», sagt Olga.
    Sie könnte mich genauso gut bitten, sie zu schlagen.
    «Läuse», sagt sie. «Irgendwann musste es auch mich erwischen.»
    «Nein», sage ich, «nicht deine Haare, bitte.» Noch während ich es sage, überlege ich, wo ich am besten mit der Klinge ansetze. Man lernt hier, das Unvermeidliche zu akzeptieren.
    Sie hat so schöne Haare. Ein helles Braun, das in der Sonne glänzt wie Gold. Eine der wenigen hier in Theresienstadt, die immer noch lange Haare haben. Bis über die Schultern. Ganz leicht gewellt, ohne dass sie etwas dafür tun muss. Ihre Friseuse in Berlin hat einmal zu ihr gesagt: «Bei Ihnen verdiene ich mein Geld leicht, Frau Gerron.» Wenn sie sie offen trägt, fällt ihr ständig eine Strähne ins Gesicht. Dann macht sie diese Kopfbewegung, die sie selber gar nicht bemerkt, wie ein Pferd, das von einer Fliege geplagt wird. Ich kann mir Olga ohne diese Bewegung nicht vorstellen.
    Manchmal dreht sie ihre Haare gleich nach dem Aufstehen zu einem Knoten, den sie aber in ihrer sympathischen Schussligkeit jedes Mal zu flüchtig feststeckt. Während sie dann ihre Frisur repariert, hält sie die Haarnadeln zwischen den Lippen fest, redet aber trotzdem weiter. Man versteht kein Wort. Als ich sie einmal dabei nachahmte, musste sie so sehr lachen, dass sie beinahe eine Haarnadel verschluckt hätte.
    Jetzt hat sie Läuse.
    «Wir machen es hier draußen», sagt sie. «Ich kriege sonst die Haare nie mehr aus der Wohnung.» Sagt Wohnung , obwohl es nur eine schäbige Kammer in einem alten Militärbordell ist. Olga ist der positivste Mensch, den ich kenne.
    Ich schnipple ganz vorsichtig. Sie lacht mich aus und sagt: «Nur keine Skrupel, Kurt.»
    Nur keine Skrupel.
    Ich schneide und schneide.
    Wie gern habe ich ihre Haare hochgehoben und Olgas Nacken geküsst. Ich küsse ihn jetzt und habe Haare im Mund.
    «Ich werde Sie bei der Friseur-Innung anzeigen», sagt Olga.
    Ich bin ungeschickt. Habe Angst davor, ihr weh zu tun. Um die Stoppeln gleichmäßig

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