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Gerron - Lewinsky, C: Gerron

Titel: Gerron - Lewinsky, C: Gerron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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die Dekoration tänzeln und mein Lied vom Nachtgespenst singen. Ich habe es damals geschafft, ich werde es auch jetzt schaffen. Schöne Gedanken denken. Weil ich das will.
    Mama, die für solche Moden anfällig war, hat es mit der Coué-Methode probiert. An der Frans van Mierisstraat, wo wir fast im selben Zimmer schliefen, konnte ich durch die offene Tür hören, wie sie vor sich hin murmelte: «Es geht mir mit jedem Tag in jeder Hinsicht immer besser und besser! Es geht mir mit jedem Tag in jeder Hinsicht immer besser und besser!» Es hat nicht gewirkt. Der Türspalt musste jeden Abend ein bisschen weiter aufgemacht werden, weil ihre Angst vor der Dunkelheit immer mehr zunahm.
    Sie hatte noch einen zweiten Zauberspruch, mit dem sie versuchte, ihren ewig schmerzenden Magen zu kurieren: «Es geht vorbei. Es geht vorbei. Es geht vorbei.» Es ist dann aber für sie nicht vorbeigegangen.
    Es geht vorbei. Es geht vorbei. Es geht vorbei.
    An schöne Dinge denken.
    Ottos Hochzeit. Ja.
    Schon wie es anfing. Er kam nach Drehschluss zu mir ins Büro, in das kleine Regie-Kabäuschen. Klopfte an die Tür, was sonst gar nicht seine Art war. Brachte erst mal kein Wort heraus. Otto Burschatz war verlegen. Der sonst nicht mal wusste, wie man Verlegenheit buchstabiert. Trat von einem Fuß auf den andern, bis ich sagte: «Wenn du pinkeln musst, dann bitte nicht hier.» Das war so unser Umgangston.
    Otto lief rot an. Er hat es später bestritten, aber ich kann es beschwören: Otto Burschatz errötete. Und er hat ein Gesicht, das nicht zum Erröten gemacht ist. Nicht mit diesem Schnurrbart.
    «Hör zu, Gerson …», sagte er. Wenn wir unter uns waren, nannte er mich immer noch so. Vor anderen Leuten war ich für ihn der Herr Regisseur. Oder einfach der Chef. Gerron hat er nie zu mir gesagt. Er mochte den Namen nicht.
    «Hör zu, Gerson, ich muss dich um etwas bitten. Du kannst nein sagen, wenn es dir unangenehm ist, aber ich frag dich jetzt einfach.»
    «Was ist passiert?», fragte ich.
    « Passiert ist das richtige Wort», sagte er. «Es ist nun mal so. Ichkann’s nicht ändern.» Und stand, weil ihm die Situation so peinlich war, jetzt nur noch auf einem Bein.
    «Es ist nun mal so», sagte er. «Ich werde heiraten.» Zog dabei eine Grimasse, als ob diese Hochzeit das Schlimmste wäre, was ihm widerfahren konnte. «Ich komme mir vor wie ein Idiot», sagte er. «Ich bin doch kein Schuljunge mehr. Ich bin ein Mann in meinem Alter. Aber ich habe die Hilde nun mal getroffen, und jetzt … Es ist nun mal so.»
    Hilde. Keine Schönheit, weiß Gott nicht. Aber wenn sie einen anlächelt, dann weiß man, dass sie es meint. Eine Frau, die mit beiden Beinen auf dem Boden steht. Stämmige Beine.
    Sie hatte eine Kneipe gleich hinter dem Stettiner Bahnhof. Hat sie vielleicht immer noch, was weiß denn ich. Berlin ist mir so fern wie der Mond. Ferner.
    Die beiden hatten sich kennengelernt, als sie ihm ein Bier zapfte. «Es gibt keinen schöneren Anblick», sagte Otto, «als eine Frau, die dir ein Bier zapft.» Sie waren sich näher gekommen, «schneller, als die Polizei erlaubt», und jetzt wollten sie heiraten. «Das heißt: Ich will. Meiner Hilde ist es scheißegal, ob uns so ein Ärmelschoner seinen Stempel gibt. Aber ich finde: Es gibt Dinge, die macht man richtig, oder man macht sie gar nicht.»
    Er war so niedlich, der verliebte Otto. Versuchte, die Sache so rauhbeinig abzuhandeln, wie er sich gern gab, und schaffte es nicht. Wie wenn einer, der noch nie krank gewesen ist, zum ersten Mal die Grippe hat. Ihn hatte die Liebe erwischt. Das ist etwas, das sich nicht organisieren lässt, und darum kam er nicht klar damit. Ich hätte ihn für seine Verlegenheit küssen mögen.
    Ich sollte sein Trauzeuge sein. Deshalb war er gekommen. Ich verstand nicht, warum er dazu so herumdrucksen musste. Er war ja auch meiner gewesen.
    «Aber du bist jetzt ein berühmter Mann», sagte er.
    «Wenn du meinst, dass das was ändert, bist du ein Idiot», sagte ich. «Es ist nun mal so.»
     
    Die Hochzeit war nichts Besonderes. Nichts, worüber die Zeitungen berichtet hätten. Deshalb erinnere ich mich so gern daran.
    Wenn man etwas lernen könnte aus dem, was in meinem Leben passiert ist – ich weiß, aus Sinnlosigkeit lässt sich kein Sinn destillieren, aber wenn doch –, dann vielleicht dieses: Die kleinen Zeiten sind die wertvollen.
    Nach der Trauung im Rathaus Neukölln fuhren wir zu einer Laubenkolonie, wo unter freiem Himmel gefeiert wurde. Perfektes

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