Gerron - Lewinsky, C: Gerron
trotzdem weiter. Wahrscheinlich hielt er das Kauderwelsch, das er auf uns losließ, für Deutsch. Ich habe ihn nie bei einer Verhandlung mit den Leuten von Disney erlebt – deren Filme vertrieb er auch –, aber Frau Muysken, seine unendlich geduldige Sekretärin, hat mir bestätigt, dass es nicht viel anders klingt, wenn er englisch spricht. Oder glaubt, englisch zu sprechen.
Er ist einer dieser begeisterungsfähigen Meschuggenen, ohne die das Filmgeschäft über die bewegten Bilder im Wintergarten nie hinausgekommen wäre. Ein Träumer, der aber rechnen kann. Meistens. Mit einem eigenen Tonfilmsystem soll er knapp an der Pleite vorbeigeschrammt sein.
Als ich ihn kennenlernte, schwamm er gerade oben. «Ich bin der wichtigste Filmproduzent von ganz Holland», stellte er sich vor. Wahrscheinlich war das nicht einmal übertrieben.
L.C.B. – er ist immer so in Eile, dass er sich per Abkürzung anreden lässt – hat immer fünf Projekte gleichzeitig laufen, und von jedem ist er überzeugt. «Das wird eine ganz große Sache», sagt er jedes Mal. Manchmal wird es tatsächlich eine.
Er ist jetzt in Amerika, wo sich keiner daran stört, dass das C in seinem Namen für Cohen steht. Wahrscheinlich erklärt er den Leuten in Hollywood, wie man richtig Filme macht. Das würde zu ihm passen.
Die Mondscheinsonate aus seinem Telegramm entpuppte sich als Kriminalroman. Das Geheimnis der Mondscheinsonate . Das Buch war in Holland der große Renner, und so hatte er kurz entschlossen die Rechte gekauft und auch gleich mit dem Drehen begonnen. Nach den ersten Mustern hatte er dann allerdings gemerkt, dass sein Regisseur von Tonfilmtechnik keine Ahnung hatte. Den Dialog hörte man wie unter einer Bettdecke hervor. Das lauteste Geräusch der Motor der Kamera. Das Zeug konnte man wegschmeißen.
«Aber jetzt habe ich ja Sie, Herr Gerron», sagte L.C.B. strahlend,«und wir werden einen wunderbaren Erfolg daraus machen. Das wird eine ganz große Sache.»
Er war richtig enttäuscht, dass ich nicht direkt vom Bahnhof ins Studio fahren und sofort mit der Arbeit beginnen wollte. Loet lebt im Zeitraffer und erwartet das auch von allen andern. Aber es leuchtete ihm dann doch ein, dass es vielleicht ganz nützlich war, wenn ich vorher das Drehbuch las. Er hatte es mir mitgebracht. Leider nur auf Holländisch, was ich damals noch nicht konnte. «Die deutsche Übersetzung ist in Arbeit», versicherte er mir. Sie wurde dann erst fertig, als der Film schon abgedreht war. Das erste Mal, dass ich Dialoge inszenierte, ohne wirklich zu verstehen, wovon die Leute redeten. Irgendwie ging’s.
Das Studio, von L.C.B. großspurig Filmstad genannt, war nicht gerade Babelsberg, aber man konnte dort arbeiten. Da ich der einzige in der Mannschaft war, der schon mal Tonfilm gemacht hatte, hielten mich alle für ein Genie.
Es wäre unhöflich gewesen, ihnen zu widersprechen.
Der Streifen wurde kein Meisterwerk, weiß Gott nicht. Nicht die ganz große Sache, die sich L.C.B. vorgestellt hatte Aber er verdiente einiges Geld damit, und so war ich für ihn ein begnadeter Regisseur. Dabei hätte jeder, der sich mit der neuen Technik auskannte, den genau gleichen Erfolg gehabt. Weil es eben Tonfilm war. Kino ist immer auch Hokuspokus.
Loet hatte schon wieder das nächste Projekt. In der Mondscheinsonate hatte ihm der kleine Junge so gefallen, der am Ende den Kriminalfall aufklärt, und jetzt wollte er eine Geschichte haben, in der ein Junge die Hauptrolle spielte. «Das Publikum mag Kinder», sagte er. «Und du kannst mit ihnen, das merkt man. Wieso hast du eigentlich selber keine?»
Nun ja.
Ich weiß noch, wir saßen damals bei uns im Wohnzimmer. Loet – er musste immer übertreiben – hatte gleich drei Flaschen Genever mitgebracht. Einen alten, einen jungen und einen speziellen, «denman nur mit Beziehungen bekommt». «Die musst du blind erkennen», meinte er, «wo du doch praktisch schon Holländer bist.» Ich merkte aber keinen Unterschied und wurde nur fürchterlich besoffen.
Ein guter Anfang. Ich dachte wirklich, in Holland hätte ich eine neue Heimat gefunden. Einen Ort, wo ich geschätzt wurde. Wo ich wieder zur Ruhe kommen konnte, nach all der Rumreiserei. Deutschland schien damals weit entfernt. Als ob es auf dem Mond läge. Oder als ob ich auf dem Mond gelandet wäre, und all die Hitlers und Goebbels und von Neussers nur noch durchs Teleskop beobachtete. Erdbewohner mit ihren Spielereien. Die mich nicht mehr betrafen.
Irrtum, sprach der
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