Gerron - Lewinsky, C: Gerron
nicht arbeiten. Da ziehe ich es vor, gleich von Anfang an aus dem Projekt auszuscheiden. Sie tragen die Verantwortung dafür.»
Ich bin gar kein so schlechter Schauspieler, wie der Brecht immer behauptet. Eppstein fiel tatsächlich darauf rein.
«Ein Missverständnis», sagte er. «Selbstverständlich bleibt Frau Ungar hier. So lang Sie sie brauchen. Ich werde das mit der Kommandantur regeln.»
«Das will ich hoffen», sagte ich.
Ich habe jetzt ein Büro und eine Sekretärin. Frau Olitzki kommt aus Troppau. Sie hat lange Jahre bei einem Rechtsanwalt gearbeitet. «Eine schlechte Vorbereitung für Theresienstadt», sagt sie. «Man gewöhnt sich zu sehr daran, dass es Gesetze gibt, und dass sie auchgelten.» Ihre Augen lachen nicht mit, wenn sie so etwas sagt. Sie macht sich Sorgen um ihren Mann. Ich habe ihn noch nicht kennengelernt, aber sie spricht viel von ihm. Er ist Beamter. War Beamter. Wir neigen hier alle dazu, unsere Vergangenheit in die missliche Gegenwart hinein zu verlängern. Er hat es am Rücken und gilt deshalb als nicht arbeits-, aber transportfähig. Was in der Regel Auschwitz bedeutet. Für beide. Die Nazis haben Familiensinn. Sie trennen selten Ehepaare. Aber jetzt ist Frau Olitzki unabkömmlich. Der Film hat erste Priorität. Wieder zwei Namen von der Liste gestrichen. Ich werde die ganze Mannschaft nach diesem Kriterium zusammenstellen.
Mein Büro habe ich mir nicht beim Ältestenrat in der Magdeburger Kaserne einrichten lassen, sondern im alten Kino Orel, wo auch die Bibliothek untergebracht ist. «Wenn ich kreativ sein soll, brauche ich Ruhe», habe ich zu Eppstein gesagt. Er hat mir so eifrig zugestimmt, als hätte ihm noch nie etwas mehr eingeleuchtet. Seit ich ihm gedroht habe, Rahm zu widersprechen, hält er mich für verrückt und will mich deshalb nicht reizen. Verrückte sind unberechenbar.
Als das Rote Kreuz kam, haben sie aus dem heruntergekommenen Kinosaal ein wunderschönes Theater gemacht. Mit Kronleuchter und allem Pipapo. Der Saal steht jetzt leer. Ich werde ihn mit meinem Film zum Leben erwecken.
Mit meinem Film, ja. Wenn er Menschen vor dem Transport rettet, werde ich stolz darauf sein können.
Stolz … Otto Burschatz hat mir, obwohl er ja nun wirklich kein Jude ist, den besten jüdischen Witz erzählt, den ich je gehört habe. «Ich bin Jude und bin stolz darauf.» «Warum?» «Wenn ich nicht stolz bin, bin ich doch Jude – bin ich lieber stolz.»
Ich werde auf meinen Film stolz sein.
Ich habe Frau Olitzki ein erstes Konzept diktiert. Habe es aus dem Ärmel geschüttelt, ohne lang zu überlegen. Der erste Entwurf wird so oder so geändert, das habe ich bei der Ufa gelernt. Er muss keinen Sinn machen, nur möglichst viele schöne Worte enthalten. Großkinotauglich ist so ein Wort. Rahm soll sich vorstellen, wie erim Gloria Palast vom Publikum beklatscht wird. Er ganz allein. Ohne lästige Stars, die ihm vor dem Rampenlicht stehen. Es wird ein Film mit lauter Statisten.
Wenn es den Gloria Palast noch gibt. Man munkelt hier von Bombenangriffen auf Berlin. Hoffentlich stimmt das auch, denkt es in mir, und gleichzeitig: Hoffentlich nicht. Was ist eine gespaltene Persönlichkeit? Ein deutscher Jude. Im Psychiater-Sketch ist das immer ein großer Lacher.
«Unser Qualitätsmaßstab muss die Deutsche Wochenschau sein», habe ich Frau Olitzki diktiert, «die bekanntlich die beste der Welt ist.» Alles Deutsche ist das Beste der Welt. Die besten Pogrome, die besten Weltkriege, die allerbesten Lager. Theresienstadt, Theresienstadt, das perfekteste Ghetto, das die Welt heut hat.
«Wir müssen unsere Ansprüche hochschrauben», habe ich diktiert, «damit unser Film nicht nur die gewünschten Inhalte zeigt, sondern gleichzeitig auch als eigenständiges Kunstwerk wahrgenommen werden kann.» Was man halt so in Konzepte hineinschreibt, wenn die Probleme noch nicht gelöst sind. Die Leute in der Teppichetage erwarten, dass ihnen regelmäßig heiße Luft in den Arsch geblasen wird. Das war bei der Ufa nicht anders.
Um genaue Anweisungen habe ich gebeten. «Je exakter die Vorgaben definiert sind, desto effizienter kann die Produktion des Reportagefilms erfolgen.» In eine Suppe gehört Salz, und in ein Konzept gehören Fremdworte. Ich brauche Rahms Anweisungen nicht wirklich. Was er haben will, ist klar, und das Lügen in Bildern habe ich bei der Ufa gelernt. Aber Rückfragen verbrauchen Zeit. Mit jedem Tag, an dem wir noch nicht drehen, rückt die russische Armee vor. Ich habe
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