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Gerron - Lewinsky, C: Gerron

Titel: Gerron - Lewinsky, C: Gerron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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weitergehen, als es dann immer später wurde, oder früher, denn es war ja schon Morgen – das ist das Seltsame am Theater mit seinem künstlichen Licht, dass es seine eigene Zeit hat –, als manschon dachte, die beiden würden sich noch an der Premiere nicht auf den Text geeinigt haben – da war ich schon ganz gut darin.
    Und beim Film … Wer es in diesem seltsamen Beruf zu etwas bringen will, muss das Warten von der Pike auf gelernt haben. «Talent ist gut, aber Sitzfleisch ist besser», sagt Otto Burschatz. Wer seine Ungeduld nicht auszuknipsen versteht, bis es endlich soweit ist, bis die eine Szene von ihm verlangt wird, die paar Sätze, für die man ihn früh um sechs in die Maske bestellt hat, und jetzt ist schon halb zwölf, wer die Kunst nicht versteht, seinen Kopf leer zu machen, an etwas anderes zu denken, damit sich die Energie nicht verbraucht, damit man im richtigen Moment, in der richtigen Sekunde präsent ist, wach, der hat in dem Gewerbe nichts verloren.
    Ich bin ein guter Warter. Ich habe es geübt. Kann dabei ruhig bleiben, zumindest äußerlich. Selbst wenn die Dinge, denen ich entgegenlebe, nicht angenehm sind. Als ich erfuhr, dass ich aus Westerbork hierhergeschickt würde, habe ich noch Scherze gemacht. Er ist tapfer, werden die Leute gedacht haben, aber mit Tapferkeit hatte es nichts zu tun. Nur damit, dass ich Zeit gehabt hatte, mich vorzubereiten. Das Lied hatte seinen Refrain – Wir fahren mit der Eisenbahn –, und man wusste, dass man den früher oder später würde singen müssen.
    Viel schlimmer ist es, wenn man nicht weiß, was kommt. Ob überhaupt jemals wieder etwas kommen wird. Oder ob das Stück schon zu Ende ist, und man hat es bloß noch nicht gemerkt. Das ist das unerträglichste Gefühl. Wenn man immer noch auf sein nächstes Stichwort wartet und gleichzeitig fürchtet, dass der Vorhang schon lang gefallen ist, die Zuschauer nach Hause gegangen, der Besetzungszettel vom schwarzen Brett genommen. Dass man im Theater eingesperrt ist, als letzter. Dass einem keiner gesagt hat, was im Schaukasten draußen neben dem Bühneneingang schon längst auf dem Plakat steht. Keine weiteren Vorstellungen .
    So ging es mir damals in Paris. Wochenlang habe ich ins Leere hinein gewartet. Es war kaum zu ertragen.
    Bis das Telegramm kam.
     
    Ohne Ottos Hilfe wäre es nicht angekommen. Es war an Kurt Gerron, Ufa Berlin adressiert, und in der Ufa hatte man beschlossen, mich nicht mehr zu kennen. Kurt Gerron? Wer soll denn das sein? Am Ende gar ein Jude?
    Aber in der Poststelle saß eine Frau, der Otto einmal eine Anstellung für ihren Sohn besorgt hatte. Sie wusste, dass wir beide befreundet waren, und steckte ihm die Nachricht zu. «Gefälligkeiten sind die beste Investition», sagt Otto immer.
    HABE MONDSCHEINSONATE GEKAUFT STOP HABE REGISSEUR NÖTIG STOP SIND SIE FREI FRAGEZEICHEN LOET C BARNSTIJN STOP BARNSTIJN FILMSTAD WASSENAAR STOP ANTWORT BEZAHLT
    Ich hatte keine Ahnung, wer dieser Loet C. Barnstijn war und was es mit der Mondscheinsonate auf sich hatte. Nur etwas war klar: Man bot mir Arbeit an. In meiner Situation konnte ich es mir nicht leisten, einen Rettungsring vorbeischwimmen zu lassen. Auch wenn er nicht sehr tragfähig aussah. Also schickte ich die bezahlte Antwort, mit den üblichen Phrasen unseres Gewerbes, durch Zufall gerade frei, an einer interessanten Aufgabe prinzipiell durchaus interessiert , ein nächstes Telegramm kam zurück, und ein paar Tage später saßen wir im Zug nach Holland. Damals haben wir noch darüber gestaunt, wie schnell man eine Wohnung auflösen kann. Alle seine Sachen einpacken. Später wurde das dann ganz selbstverständlich. Exil macht beweglich.
    Und dumm. Ich hatte völlig vergessen, über eine Gage zu verhandeln. Der Zug rollte schon durch Belgien, als es mir einfiel. Aber darauf kam es nicht an. Solang ich nur Arbeit hatte.
    In Den Haag erwartete uns Loet Barnstijn am Bahnhof. Er sah sehr seriös aus, ein Geschäftsmann mittleren Alters, ganz etepetete gekleidet. Aber er war verrückt. Total verrückt. Auf die sympathischste Art, die man sich vorstellen kann. Mich umarmte er wie einen lang verlorenen Bruder, Olga küsste er die Hand, Mama machte er Komplimente, und vor meinem Vater stand er stramm und salutierte. «Ich bin sicher, Sie waren Offizier», erklärte er. Und hatte Papa damit schon für sich gewonnen.
    Das alles in den ersten drei Minuten.
    Loet kann schneller reden als Otto Wallburg. Wenn er eine Sprache nicht beherrscht, redet er

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