Gerron - Lewinsky, C: Gerron
anzuklopfen. Er kannte den Wallburg von der Ufa her und hatte sich mit ihm verschworen, um uns zu überraschen. Stand plötzlich im Zimmer. Überhaupt nicht verändert. Nur dass er jetzt dort, wo ihm die rechte Hand fehlte, eine Prothese mit einem schwarzen Handschuh hatte. Wir haben ihn angestarrt wie eine Erscheinung. Otto. Ein Strauß Würste unter dem Arm. Mit einer schwarz-weiß-roten Schleife zusammengebunden. «Für die Farben bitte ich um Verzeihung», sagte er. «Man findet heutzutage nichts mehr anderes. Es ist nun mal so.»
Für mich hatte er Zigarren mitgebracht, für Mama ein Parfum und für Papa eine Flasche Danziger Goldwasser. Ich muss ihm einmal erzählt haben, dass das sein Lieblingslikör war. Otto merkt sich solche Sachen. «Für Weihnachten ist es ein bisschen früh», sagte er, «aber wie der Völkische Beobachter so richtig sagt: Man muss die Festungen feiern, wie sie fallen.»
Ihn so unverhofft wiederzusehen, das war wie ein Wunder. Nachdem man sich schon fast damit abgefunden hatte, jeden Kontakt mit seinen alten Freunden zu verlieren. «Wir sind hier die Lepra-Kolonie», hat der Nelson immer gesagt. Otto hatte zwar ab und zu noch Briefe geschickt, aber die waren immer seltsam inhaltsleer gewesen. Ein bisschen Ufa-Klatsch, mir geht es gut, der Hilde auch, ich hoffe, bei Dir ist das ebenso und freundliche Grüße. «Man weiß nie, wer mitliest», erklärte er jetzt. «Darum gibt’s bei uns ja auch keine Preußen mehr, keine Bayern und keine Sachsen. Wir sind jetzt alle Braun-Schweiger.» Otto machte Witze wie früher. Aber er schien sich nicht mehr darüber zu amüsieren.
Wie waren wir glücklich, ihn zu sehen! Die erste positive Überraschung nach so vielen negativen. Die deutsche Staatsbürgerschafthatten sie uns aberkannt. Man hörte von Leuten, die wahllos verhaftet wurden. Die ersten Geiseln waren ins KZ verschleppt worden und die ersten Todesnachrichten zurückgekommen. Es hagelte Verbote. Fast jede Woche ließen sich die Besatzer etwas Neues einfallen. Judskis durften nicht mehr ins Schwimmbad. Ins Kaffeehaus. In den Park. Durften keine Radiogeräte mehr besitzen. Auch das Theaterspielen war untersagt. Nur in der Schouwburg durfte ich noch auftreten. Die jetzt Joodsche Schouwburg hieß. Toegang uitsluitend voor Joods publiek. Jüdische Zuschauer. Jüdische Schauspieler. Jüdische Autoren. «Ein Glück, dass Shakespeare eigentlich Kohn hieß», sagte Otto.
Wir erfuhren von ihm viel über die Stimmung in Deutschland. Unter den Emigranten machten ja immer wieder hoffnungsvolle Gerüchte die Runde, über Unzufriedenheit und Widerstand. Als wir ihn danach fragten, schüttelte Otto den Kopf. «Alles Wunschträume», sagte er. «Sie sind immer noch am Jubeln. Fest davon überzeugt, dass wir im Frühjahr in Moskau einmarschieren werden. Aber das hat schon bei Napoleon nicht geklappt.»
Otto war in Amsterdam, weil der Steinhoff hier seinen Rembrandt-Film drehte. Auch so eine Weltanschauungs-Scheiße. Ewald Balser als ein Arno Breker des 17.Jahrhunderts. Hertha Feiler als Saskia. «Die Frau hat es mit der Prominenz», sagte Otto. «Zuerst hat sie den Rühmann geheiratet und jetzt den Rembrandt.» Für ihn als Requisiteur war die Arbeit reizvoll, weil er einmal so richtig aasen durfte. Es musste alles vom Feinsten sein. Historisch korrekt. Geld spielte keine Rolle. Es war eine KU-Produktion , wie sie das nannten. Kriegswichtiges Unternehmen . Die Entscheidungsschlacht auf der Leinwand. Ein Riesenaufwand. Allein die Kostüme kosteten ein Vermögen. Einen ganzen Straßenzug altes Amsterdam hatten sie nachgebaut und Unmengen Statisten engagiert. Leute zu kriegen war kein Problem. Die halbe Stadt meldete sich freiwillig zum Mitmachen. Nicht aus Film-Begeisterung. In der Kantine der Cinetone Studios konnte man ohne Marken essen. Wobei die Ateliers jetzt anders hießen. Ufa-Filmstadt Amsterdam hieß das jetzt. Die Nazis waren schon immer gut im Umbenennen von geklautenSachen. Wir sind hier ja auch nicht in der Tschechei eingesperrt, sondern im Protektorat.
Mit seinen guten Beziehungen hatte sich Otto ein Zimmer im luxuriösen Amstel Hotel organisiert. Wo sonst nur der Regisseur und die Stars wohnten. Dort hatte er mitbekommen – Otto bekommt immer alles mit –, dass die Produktion für nächste Woche eine zusätzliche Suite reserviert hatte. Unter strengster Geheimhaltung. «Es darf niemand wissen, für wen sie bestimmt ist. Aber sie schweigen so laut, dass man es nicht überhören kann. Den
Weitere Kostenlose Bücher