Gerron - Lewinsky, C: Gerron
vor. Eine Szene hatten wir uns ausgedacht, da kommen sie an einem Schaufenster voller Torten vorbei und schaffen es einfach nicht weiterzugehen. Werden von den Süßigkeiten magisch angezogen. Am Schluss heiratet die Frau einen schlanken jungen Mann, und die beiden Dicken haben nichts dagegen. Weil Liebe zwar schön ist, aber ein Eisbein mit Sauerkraut noch viel schöner. Wir hatten auch schon den Titel für den Film. Wussten bloß noch nicht, wie man ihn ins Englische übertragen konnte. Pfundskerle sollte er heißen.
Wir haben das damals nicht gemerkt, aber heute weiß ich: Die Geschichte haben wir uns ausgedacht, weil wir beide schon so lang nicht mehr richtig satt gewesen waren.
Otto informierte uns laufend. Rühmann kam in Amsterdam an. Rühmann besuchte die Dreharbeiten. Die Luftwaffe lud ihn zu einem Flug über Holland ein. Überall legten sie ihm den roten Teppich aus.
Bei uns meldete er sich nicht. Obwohl ihm der Wallburg die Adresse mehr als einmal geschrieben hatte.
Otto beruhigte uns. «Er hat dauernd jede Menge Leute um sich.Da kann er nicht, wie er will. Aber keine Sorge. Ich organisier euch ein Treffen. Vielleicht besser nicht hier in der Wohnung. Was gibt es denn in Amsterdam für einen richtig diskreten Ort?»
Das Schiller war einmal unser Stammcafé gewesen. Als man uns noch ein Stammcafé erlaubte. Gäste durften wir dort nicht mehr sein, aber Frida Geerdink, die Wirtin, war eine gute Freundin. Sie betrieb ihr Lokal ganz allein, war Koch und Kellner in einer Person. Morgens um halb sechs, wenn die Leute vom Markt ihr Frühstück haben wollten, sperrte sie auf und machte die Bude erst am Abend um zehn wieder dicht. Manchmal auch später, wenn gute Kunden noch Durst hatten. Interessant, wie Wirtinnen sich gleichen. Aenne Maenz und Ottos Hilde hatten genau denselben Umgangston wie Frida. Rauh aber herzlich. «Ich kann euch mein Lokal nicht zur Verfügung stellen», sagte sie. «Das wäre gegen die Vorschriften, und ich bin eine gesetzestreue Frau. Ihr müsstet euch schon heimlich hineinschleichen. Obwohl das natürlich nicht möglich ist. Ich schließe den Eingang immer sehr sorgfältig ab. Nur die Küchentür, hinten im Hof, die vergesse ich in meiner Schussligkeit immer.»
Rühmann hatte uns ausrichten lassen, dass es spät werden könne. Es war sein letzter Abend in Amsterdam, und ein paar hohe Luftwaffenoffiziere, die auch im Amstel wohnten, hatten ihn zu einem Abschiedsessen eingeladen. Da hatte er natürlich nicht nein sagen können. Aber sobald der letzte Toast auf die Fliegerei ausgebracht war, würde er herkommen.
Wir saßen also hinter heruntergelassenen Rollläden und warteten. Wenn wir Durst bekämen, sollten wir uns einfach bedienen, hatte Frida gesagt. Unsere Gläser blieben leer. Zum Trinken wollten wir zu dritt sein.
Es war ein seltsames Gefühl, so ganz allein. Das Schiller war immer ein Lokal gewesen, wo man der Gesellschaft wegen hinging. Wo man sich lautstark unterhielt. Debatten führte. Der Wallburg und ich schwiegen. Als ob wir uns alle Worte für den Rühmann aufsparen wollten.
Im Schiller hängt an einer Wand diese altmodische Uhr, auf deren Zifferblatt sich ein Schiff im Takt des Pendels hin und her bewegt. An diesem Abend hörte ich zum ersten Mal, dass es dabei ein Geräusch macht. Ein metallisches Klicken bei jeder Bewegung. Ich musste mir große Mühe geben, um nicht alle paar Minuten auf das Zifferblatt zu sehen. Die Zeit verging sehr langsam.
Aber irgendwann war Mitternacht vorbei und ein Uhr auch. Ganz egal, wieviele Flaschen Wein sie dort auffahren ließen – das Essen im Amstel musste längst zu Ende sein. Vielleicht kommt er gar nicht, dachte es in mir. Ich versuchte den Gedanken wegzudrücken. Er konnte kein Glück bringen. Der Rühmann würde kommen. Wenn jemand Verständnis für unsere Lage haben musste, dann er. Seine erste Frau war ein Judski gewesen. Natürlich, er hatte sich von ihr scheiden lassen, als man das von ihm verlangte. Aber doch nur, weil er sie anders nicht in Sicherheit bringen konnte. Und auch bei der Feiler wurde von einem Großvater gemunkelt, der nicht ganz koscher war. Oder eben gerade koscher. Nein, Heinz Rühmann würde uns nicht im Stich lassen.
Der Wallburg ist noch nicht mal zehn Jahre älter als ich. Aber so, wie er jetzt dasaß, den Kopf in die Hände gestützt, war er ein ganz alter Mann.
Halb drei.
Dann ging die Küchentür auf, sehr laut in der stillen Nacht. Wir hörten Schritte. Eine Pfanne, die zu Boden fiel,
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