Gerron - Lewinsky, C: Gerron
seine Weise Wort. Wenn wir ankommen, steht auf dem Bahnhofsschild Mauthausen . Oder Theresienstadt .»
Ach, Papa. Nach Theresienstadt hast du es nicht geschafft.
Eine lange Fahrt. Mehr als zwei Tage. Dann fuhr der Zug nicht mehr weiter. Oder doch: Er fuhr weiter, aber unseren Waggon hatte man abgehängt. Wir packten unsere Rucksäcke. Warteten.
Man kann das Warten erlernen wie ein Handwerk.
Sie kamen mitten in der Nacht. Öffneten die Türen und winkten uns heraus. Wieder Männer in Zivil. Sie gleichen sich alle, auch wenn sie ganz verschieden aussehen.
Da wo unser Waggon stand, gab es keinen Bahnsteig. Nur Schotter. Ein paar Lampen, aber in großen Abständen.
Sie führten uns über die Gleise. Mehrere Gleise. Es musste ein wichtiger Bahnhof in der Nähe sein.
Ein Zaun, mit einer Pforte, die offen stand und die sie hinter uns sorgfältig wieder verriegelten.
Eine Straße.
Die Lichter einer Stadt.
«Das ist Irún», sagte einer der Männer. «Hier haben Sie die Papiere für den Grenzübertritt. Der Herr Propagandaminister lässt Ihnen ausrichten: Sie sollen sich in Deutschland nie wieder sehen lassen.»
Wir marschierten auf die Lichter zu. Hielten den Grenzposten unsere Papiere hin. Sie winkten uns durch, ohne sie anzusehen.
Dann gingen wir über die Brücke nach Spanien.
Aber so war es nicht.
So war es:
Wir warteten im Schiller. Die Uhr mit dem schwankenden Schiff tickte und klickte. Es wurde zwölf. Es wurde eins. Es wurde zwei.
Rühmann kam nicht.
Um halb drei ging die Hintertür auf. Wir hörten Schritte. In der Küche fiel eine Pfanne zu Boden. Aber nicht ungeschickt vom Herd gestoßen. Es hatte jemand seine Wut an ihr ausgelassen.
Otto Burschatz.
Er kam herein, ganz blass, und sagte nur: «Er hat es sich anders überlegt.»
Der Wallburg war von seiner Krankheit geschwächt und konnte Enttäuschungen nicht mehr ertragen. Deshalb hat er geweint.
«Ich kann es nicht riskieren», hatte der Rühmann gesagt. «Ich könnte die größten Schwierigkeiten bekommen.» Dann war er zu Bett gegangen. Er musste früh aufstehen, um nach Berlin zurückzufahren.
«Es ist nun mal so», sagte Otto.
«Und das war alles?», fragte der Wallburg. «Sonst hat er nichts gesagt?»
«Doch», sagte Otto. «Aber das wollt ihr nicht hören.»
Wenn wir Geld brauchten, das hatte der Rühmann noch gesagt, dann sollten wir ihn das wissen lassen. Damit würde er uns gern aushelfen.
Mit Geld.
Ich mache ihm keinen Vorwurf. Doch, natürlich, ich mache ihm jede Menge Vorwürfe. Wo er doch Wallburgs großer Freund war. Aber ich weiß auch: Courage kann man nicht einfordern wie eine offene Rechnung. Auch nicht von einem frischgebackenen Staatsschauspieler.
Kurz vor dem Einmarsch der Nazitruppen haben wir in einer der Nelson-Revuen das Lied von den drei Affen gesungen. Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. Mit den Schlusszeilen: Und dann merkt man ganz betroffen: Das sind keine Affen. Das sind Moffen. War immer ein großer Lacher.
Moff ist kein nettes Wort für Deutsche. Aber passend für den Rühmann. Man hätte ja noch verstehen können, wenn er sich nicht für uns einsetzen wollte. Aber dass er nicht einmal vorbeikam …
Er ist eben doch nur ein armseliges kleines Kaninchen.
Er kam nicht, und es fuhr kein Zug nach Spanien. Wir kamen aus Holland nicht mehr raus. Saßen fest. Hinter dem Gitter aus Paragraphen, in dem sich früher oder später jeder verhakte. Keine Reisen mehr ohne amtliche Bewilligung. Nicht einmal Amsterdam durften wir verlassen. Und ich hatte mich schon in Hollywood gesehen. Mit einem Stern an der Garderobentür. Wie man ihn dort bekommt, wenn man ein Star ist. Nun ja, meinen Stern habe ich doch noch gekriegt. Nicht an der Garderobentür. Viel, viel besser. Ich durfte ihn mir an die Brust heften. In leuchtendem Gelb. Damit jeder wusste, dass ich etwas Besonderes bin. Mehr als ein Star. Ein Jood .
Gründlich, wie sie nun mal sind, machten sie eine Ausnahme für Theateraufführungen. Auf der Bühne der Schouwburg dufte ich sternlos agieren. Vorausgesetzt, dass die dargestellte Figur nach der Verordnung vom 3 . Mai 1942 nicht zum Tragen des Sterns verpflichtet wäre. Sie dachten an alles.
Papa ging fast nicht mehr aus dem Haus, so sehr hasste er das Abzeichen. Er hatte Judskis immer verachtet und wollte sich jetzt nicht öffentlich als einer von ihnen ausstellen lassen. Mama, typisch, klagte mehr darüber, dass die Sterne mit festem Faden angenäht werden mussten. «Das macht doch den Stoff
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